Keine schöne Bescherung für nicht binäre Menschen

Henry Hohmann ist Transaktivist und setzt sich seit über 10 Jahren für die Rechte von trans Menschen ein. Von 2012 bis 2018 war er Präsident bzw. Co-Präsident von Transgender Network Switzerland.

Kurz vor Weihnachten 2022 kam der lange erwartete Bericht des Bundesrates heraus, der auf die 2017 eingereichten Postulate von Sibel Arslan und Rebecca Ruiz antwortet. Es sollte geprüft werden, welche Konsequenzen ein weiterer, dritter Geschlechtseintrag auf das Schweizer Recht hätte. Das Ergebnis des Berichts ist vor allem eines: ernüchternd.

Wer gehofft hatte, dass die Schweiz bald einen weiteren Geschlechtseintrag einführen würde, um die Existenz von nicht binären Menschen zu bestätigen, wurde enttäuscht. Der Bundesrat lehnt dies rundweg ab. Begründung: …weil «die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Einführung eines dritten Geschlechts oder für den generellen Verzicht auf den Geschlechtseintrag derzeit nicht gegeben sind». Es geht dem Bundesrat also nicht darum, die Grundrechte nicht binärer Menschen zu stärken, es geht einfach darum, die Mehrheit der Gesellschaft nicht zu überfordern.

Ist es also die Gesellschaft, die noch nicht soweit ist? Hier tut sich in der Schweiz ein grosser Unterschied zwischen den Generationen auf. Geschlecht ist unter jüngeren Menschen längst fluider geworden. Popstars, Schriftsteller*innen oder die Nachbarn outen sich als nicht binär. Geschlechterstereotypen werden hinterfragt und längst blinken auch in intellektuellen Blättern kleine Gendersternchen auf. Doch nach wie vor dominiert das binäre Geschlechtersystem, auch wenn vielen Menschen bewusst ist, dass dies eine grobe Vereinfachung darstellt. Laut einer Umfrage von 2021 sind bereits 53 % der Schweizer*innen dafür, einen weiteren Geschlechtseintrag einzuführen. In meinem unmittelbaren Umfeld sehe ich jedoch auch, wie wenig viele meiner Freund*innen darüber wissen. Selbst in queeren Kreisen tun sich viele mit dem Thema schwer.

Was wäre geschehen, wenn der Bundesrat ja gesagt hätte zur Einführung einer weiteren Geschlechtsoption? Das Schweizer Recht müsste auf nicht binäre Optionen erweitert werden: Es müsste künftig alle Geschlechter ansprechen. Es würden sich Auswirkungen auf die Sozialversicherungen ergeben. Viele Formen geschlechtergetrennter Räume müssten angepasst werden. Doch am Entscheidendsten ist: Es würde eine Verfassungsänderung geben, über die dann das Stimmvolk befinden müsste. Wäre diese Abstimmung jetzt oder in naher Zukunft wirklich zu gewinnen? 

So enttäuschend der Bericht für alle nicht binären Menschen ist, er hat doch mehr bewirkt, als es vordergründig erscheint. Die Politik muss und wird sich weiter mit dem Thema beschäftigen. Sibel Arslan hat bereits angekündigt, dass sie das Thema bald wieder im Parlament aufgreifen wird. Und das Bundesgericht muss über den Fall einer Person urteilen, die einen offengelassenen Geschlechtseintrag in ihrem deutschen Pass auch für ihre Schweizer Dokumente fordert. In erster Instanz hatte sie bereits Recht erhalten. Doch für die aktuelle Situation von nicht binären Personen bedeutet es erstmal weiterhin: Du existierst für den Staat nicht, du tauchst in keiner Statistik auf, du bist unsichtbar. Das ist bitter und tut weh.

 

Text: Henry Hohmann