Der Gurten wird bunter!

Auf dem Gurten in Bern wird in diesem Sommer das Stück «flöört.ch – Flirten lernen in 90 Minuten» aus der Feder von Autorin und Regisseurin Livia Anne Richard uraufgeführt.

Mit dabei ist der schwule Tänzer und Schauspieler Nick Herren (21) aus Bern, welcher im Stück den trans Mann Nino spielt. Franzisca Ellenberger, Verantwortliche PR bei Theater Gurten, hat mit dem vielfältig talentierten Nick ein Gespräch geführt.

Nick, worum geht es im Stück «flöört.ch» eigentlich? Also ums Flirten, klar, aber sonst?

Genau. Vordergründig geht es ums Flirten. Und Flirt-Coach Cedric Koch (Christoph Keller) versteht in seinem Seminar darunter explizit das Flirten zwischen Männern und Frauen.

Hintergründig stellt das Stück veraltete Rollen- und Genderbilder in Frage. Das ganze heteronormative Denken wird darin so ziemlich auf den Kopf gestellt. Und zeigt auf, dass Flirten für jede sexuelle Ausrichtung «salonfähig» ist. Es bereitet mir grosse Freude, bei diesem Stück mitzumachen, in dem das Publikum noch staunen wird, worum es wirklich geht.

 

Du spielst in «flöört.ch» die Rolle des Nino. Wie kam es dazu?

Alles passierte sehr «aus dem Blauen» heraus. Eines Tages kam die Anfrage von Livia, ob sie mir eine Rolle «auf den Leib» schreiben dürfe. Ich sagte sehr erfreut und dankend zu, da ich das Theater Gurten seit meiner Kindheit kenne und schätze. Auf dieser Bühne zu spielen ist für mich traumhaft schön und ich kann meine bereits recht grosse Theatererfahrung nun auch auf die Freilichtbühne ausweiten. Nach der Zwangspause durch Corona macht es doppelt Spass.

 

Denkst Du, dass es für einen schwulen Darsteller einfacher ist, sich in einen trans Mann hineinzuversetzen, als für einen cis hetero Mann?

Ja, ich denke, in der Tendenz ist das auf jeden Fall so. Und zwar deshalb, weil ich der Thematik des «Anders-Seins», des Erklärungsnotstands, des Rechtfertigens seit meiner Kindheit ausgeliefert war. Ich musste mich ständig ausdeutschen: Warum ich mich so verhalte, wie ich mich verhalte. Warum ich interessiert bin, woran ich interessiert bin. Ich versuchte immer wieder, mir Gehör zu verschaffen, und bin trotzdem oft auf taube Ohren gestossen. Ich kann mich also definitiv hineinversetzen, wenn man das Gefühl hat, niemand nehme einen als das, was man wirklich ist, wahr und ernst. Der cis hetero Mann kennt diese Probleme nicht, er ist gewissermassen das «Standard-Modell» und findet dadurch nicht Ablehnung, sondern Zuspruch in der Gesellschaft. Deshalb glaube ich, dass ein schwuler Mann diese Rolle mit seinem Erfahrungsschatz besser darstellen kann, ja. Allerdings bin ich mir sehr bewusst, dass auch ich meine Erfahrungen niemals 1:1 mit denen eines trans Manns vergleichen kann.

 

Wann hattest Du Dein Coming-out 

und wie kam es dazu?

Ich bin in mein Coming-out hineingemobbt worden. Es begann schon in der ersten Klasse. Alle waren überzeugt, dass ich schwul bin, mein «Kosename» war Schwuchtel. In der achten Klasse habe ich es meinem Klassenlehrer anvertraut, weil das Mobbing immer schlimmer wurde. Ich konnte mich nicht mehr frei bewegen, hatte auf dem Schulweg Angst, zusammengeschlagen zu werden. 

Der Lehrer hat mir Mut zugesprochen, mich vor die Klasse hinzustellen und mich zu outen. Das habe ich gemacht und von da an hat das Mobbing zu meiner Verwunderung aufgehört. Seither habe ich mich, in immer neuen Kreisen, natürlich noch oft geoutet. Ich mag aber auch nicht ständig über meine sexuelle Orientierung reden und mache es selten ungefragt, sondern wenn das Thema auf irgendeine Weise «in der Luft liegt».

 

Du bist Lehrer, Tänzer, Choreograph, Video Director, Schauspieler. In welchem Umfeld erlebst Du es am schwierigsten, Dich als geouteter Schwuler zu bewegen?

Am schwierigsten erlebe ich es in einem Umfeld, welches eine typische «Männerdomäne» ist. Ich war zum Beispiel mal als Möbel-Monteur tätig, ein doch sehr männerlastiger Beruf. (lacht) Dort war es nun wirklich nicht einfach. 

Aber auch als Lehrer der Unterstufe merke ich, dass ich mich zurückhalten muss bezüglich meiner Weltansichten und denen, die ich den Kindern mitgeben kann. Ganz offen kann ich da nie sein. Immerhin wissen die Kinder aber, dass ich Männer bevorzuge.

 

Was hältst Du grundsätzlich vom Begriff «Coming-out»?

Ich finde, es ist ein komplett veraltetes Konstrukt und zeigt, dass wir noch immer in Norm-Schubladen denken. Die Einstellung heutiger Eltern sollte sein, dass ihr Sohn mit einer Freundin oder einem Freund nach Hause kommen kann, und es werden keine Fragen gestellt. Niemand sollte sich dafür rechtfertigen müssen, wieviel Zeit er mit wem und wo verbringt. 

 

Wo findest Du, hat die Gesellschaft Fortschritte gemacht, wo sind wir an einem guten Punkt angekommen?

Ich sehe in der Schule, dass es langsam, aber sicher mehr Akzeptanz gibt, wenn ein Junge zum Beispiel mit einem Röckli oder mit lackierten
Fingernägeln daherkommt. Das hätte früher einen Skandal ausgelöst, heute gibt es nur noch schräge Blicke. 

Zudem gibt es für Menschen aus dem LGBTIQ-Spektrum heute auch Treffpunkte und Beratungsstellen, wo sie sich hinwenden können. Die Einsamkeit hat abgenommen. Ich denke, die Welt wird gerade ein klein wenig bunter. Das ist die richtige Richtung.

 

Zurück zum Stück: Warum sollen sich queere Menschen «flöört.ch» auf dem Gurten anschauen kommen?

Da gibt es viele Gründe. Livia Anne Richard trifft mit ihrem Stück den Nerv der Zeit. Es wird einem darin vor Augen geführt, wie viele queere Menschen es eigentlich gibt. Wie vielfältig und vielgestaltig das menschliche Wesen ist. Dass jeder Mensch ein unikates Gemisch ist, und dass er genau so, wie er ist, völlig ok ist. Das tut uns allen gut. Queere Menschen werden an diesem Theaterabend viel lachen, sich identifizieren können und den Gurten mit hocherhobenem Haupt stolz wieder verlassen.

 

Stück: «flöört.ch – Flirten lernen in 90 Minuten»

Regie: Livia Anne Richard

Wann: Juni bis August 2022

Tickets & Infos: www.theatergurten.ch

Text: Livia Anne Richard

Advertorial

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