Zwischen «Dunkler Macht» und alltäglicher Diskriminierung

Henry Hohmann ist Transaktivist und setzt sich seit über 10 Jahren für die Rechte von trans Menschen ein. Von 2010 bis 2018 war er Präsident bzw. Co-Präsident von Transgender Network Switzerland.

Neues aus der Trans-Welt

Trans Menschen stehen für geschlechtliche Vielfalt, sie sind ein bunter Streifen des Regenbogens, eine Bereicherung für unser Geschlechterverständnis. Das denke ich in all meiner Naivität.

Doch die Sicht vieler Menschen ist inzwischen eine andere: Sie sehen trans Menschen vor allem als Bedrohung – ihres reaktionären Weltbilds und ihrer Sicht von Geschlecht und Rollenbildern. Trans Menschen wird sogar eine geheimnisvolle Macht zugeschrieben, die von einer dunklen Trans-Lobby ausgehen soll. 

Ist das übertrieben? Leider nein, wenn man die aktuelle mediale Debatte vor allem um trans Frauen verfolgt: Seien es Aussagen wie die der Autorin der bekanntesten Zaubererromane der Welt, die sich erst über bestimmte Formulierungen lustig machte und dann trans Frauen als Bedrohung und potentielle Vergewaltiger darstellte. Oder die englische Wissenschaftlerin, die nur biologische Tatsachen (also Chromosomen oder die Genitalausstattung bei Geburt) für das Geschlecht einer Person gelten lassen möchte und dabei längst nicht mehr auf der Höhe der wissenschaftlichen Debatte steht. Und ganz aktuell die Herausgeberin der bekanntesten Frauenzeitschrift Deutschlands, die öffentlich eine trans Frau im Bundestag als Mann bezeichnet, die «echten» Frauen einen Quotenplatz weggenommen habe. Und zuletzt eine grosse Schweizer Tageszeitung, die kürzlich mit mehreren Artikeln all diese und weitere Argumente in die Schweizer Medienwelt einbrachte und so erneut hochkochte.

Wieder wird trans Frauen das Frau-Sein abgesprochen und sie werden als vermeintliche sexuelle Gewalttäter stigmatisiert. Dabei ist es genau umgekehrt: Trans Frauen erleben vielfach und alltäglich Gewalt und Diskriminierung, wenn sie als «anders» auf der Strasse oder in geschlechtlich getrennten Räumen erkannt werden, wenn ihre Familien ein traditionelles Rollenbild pflegen oder eine bestimmte religiöse Sichtweise ihre Welt einengt. Und die cisgeschlechtlichen Männer, die die Statistiken sexueller Gewalt anführen, verschwinden dabei aus dem Blick.

Doch das Gefährliche an dieser Diskussion ist das Weltbild, das sich damit verbindet und das vor allem jungen Menschen signalisiert: Du bist nicht richtig, so etwas wie dich sollte es gar nicht geben, du bist nichts wert. Dass das Verinnerlichen solcher Gedanken zu psychischen Erkrankungen und gar Suizidgedanken führt, liegt auf der Hand. 

Die Debatte ist giftig geworden. Und sie färbt ab. Eine Freundin, die vor wenigen Tagen mit dem neuen Gesetz selbstbestimmt und einfach ihren amtlichen Geschlechtseintrag geändert hat und dies freudig ihren Kolleg*innen erzählte, bekam von einem Typen als Kommentar zu hören: «Klar, um das Militär zu umgehen, hätte ich das auch sofort gemacht, jetzt, wo es so easy geht…» Was für ein Hohn und Unkenntnis über die Situation von trans Menschen spricht aus diesen Worten! Während das Gesetz für mehr als 99 Prozent der trans Menschen eine enorme Erleichterung darstellt, sie als Bürger*innen ernst nimmt, wird in den Medien und von rechten Politiker*innen nur der mögliche Missbrauch verhandelt. 

Gibt’s auch etwas Positives? Klar! Auch wenn die Geschlechterdiskussion von einigen sehr einseitig und laut geführt, sind viele Menschen schon längst der Ansicht, dass Geschlecht mehr als nur Frau und Mann meint. So finden nach einer aktuellen Umfrage eines Schweizer Meinungsforschungsinstituts 33% der Schweizer*innen, dass Geschlecht ein Kontinuum mit vielen Geschlechtsidentitäten sei.