Nationalrat will Konversionsmassnahmen verbieten – nun ist der Ständerat gefragt

Der Nationalrat hat heute mit 143 zu 37 Stimmen die Motion seiner Rechtskommission angenommen, welche ein nationales Verbot von Konversionsmassnahmen an LGBTQ+ Personen fordert. Damit reagiert er auf den dringenden Handlungsbedarf, der auch durch einen neuen Forschungsüberblick aufgezeigt wird: Auch die Studie von Dr. Yv E. Nay der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) fordert ein Verbot und betont die Notwendigkeit einer Sensibilisierung von Fachpersonen zu LGBTQ+ Lebensweisen, um die Gesundheit von LGBTQ+ Personen nachhaltig zu stärken.

Unter dem Begriff "Konversionstherapien" werden diverse Praktiken zusammengefasst, die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität und/oder den Geschlechtsausdruck einer Person zu verändern mit dem Ziel, dass diese einer heterosexuellen cisgender Normvorstellung entsprechen. Der Begriff selbst ist jedoch problematisch, wie Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross, betont: "Der Begriff Therapie ist falsch, denn diese Praktiken heilen nichts. Im Gegenteil: Sie verursachen grosses Leid für die Personen, die ihnen ausgesetzt sind! Deshalb sprechen wir von Massnahmen, Praktiken oder Versuchen – denn sie funktionieren in keinem Fall."

In der Schweiz werden Konversionsmassnahmen regelmässig durchgeführt, wie verschiedene Recherchen und journalistische Investigationen in jüngster Zeit belegen. Doch während mehrere Staaten diese Praktiken verboten haben oder ein solches Verbot vorbereiten, mahlen die Mühlen in der Schweiz langsam. "Wir fordern ein strafrechtliches Verbot dieser Praktiken und Sanktionen gegen Personen, die sie anbieten, vermitteln oder bewerben. Denn Konversionsmassnahmen sind für die psychische Gesundheit der Betroffenen höchst schädlich, und nur mit einem expliziten strafrechtlichen Verbot können alle Fälle abgedeckt werden", sagt Alecs Recher, Leitung Rechtsberatung und Advocacy bei TGNS. "Der Nationalrat hat diesen Handlungsbedarf endlich erkannt und beschlossen, zu handeln. So macht er klar: Die Schweiz darf bei diesen Schandtaten nicht länger wegschauen”, zeigt sich Muriel Waeger, Co-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS) erleichtert über die nationalrätliche Annahme der Motion. 

Andreas Künzler, Leiter der politischen Kommission von Network, betont: “Noch ist das Verbot leider nicht beschlossen. Der Ständerat ist nun gefordert, die Motion ebenfalls anzunehmen, damit das strafrechtliche Verbot möglichst rasch ausgearbeitet werden kann.” 

Die neue Studie von Dr. Yv E. Nay zeigt auf, dass diese Praktiken eine lange Geschichte und ihren Ursprung in der Pathologisierung von Homosexualität und später von Transidentität im 19. und 20. Jahrhundert haben. Sie beruhen auf der falschen Vorstellung, dass Homosexualität und Transidentität "geheilt" werden sollten und könnten. "So wird die Haltung vertreten, dass Homosexualität und Transidentität schlechter sind als das heterosexuelle Cisgender-Modell und daher korrigiert werden müssen. Diese Haltung und diese Praktiken wurden wiederholt von den Vereinten Nationen verurteilt und von den wichtigsten Berufsverbänden und der Weltgesundheitsorganisation angeprangert", betont Dr. Nay.

Neben der Notwendigkeit eines generellen Verbots betont die Studie auch die Wichtigkeit einer breiten Sensibilisierung für LGBTQ+ Themen in Schulen, Universitäten, Religionsgemeinschaften usw., um diesen Praktiken und die ihnen zugrunde liegenden Haltungen nachhaltig Einhalt gebieten zu können. Ebenso sollten die Berufsverbände im Pflege- und Betreuungsbereich ihre Mitglieder verstärkt in LGBTQ+ Themen schulen, um LGBTQ+ Klient*innen in ihren Fragen bestmöglich begleiten zu können.

Die vollständige Studie von Dr. Yv E. Nay kann hier heruntergeladen werden.


Medienmitteilung vom 12. Dezember 2022 von Pink Cross, LOS, TGNS, Network, Wybernet und Dachverband Regenbogenfamilien.