«I don’t sing because I’m happy; I’m happy because I sing.»

Räusper-räusper, krächz und hust - und dann die Frage «Bist du erkältet?». So ungefähr begann mein Stimmbruch mit 48 Jahren. Und das war eine der spannendsten Erfahrungen meiner Transition. Denn dank der Hormontherapie mit Testosteron machte ich noch einmal eine Pubertät durch. Und dazu gehörte auch ein Stimmbruch, der meine Stimme innerhalb weniger Wochen nach unten katapultierte.

Singen bedeutet mir sehr viel. Seit der Schulzeit habe ich ununterbrochen in Chören gesungen, es gehört einfach zu meinem Leben dazu. Auch wenn ich mich nun freute, dass ich mit einer tieferen Stimme z.B. auch am Telefon deutlich als männlich wahrgenommen würde, hatte ich gleichzeitig grossen Respekt vor diesen Stimmbruch. Denn ich hatte keine Ahnung, was mit meiner Singstimme passieren würde. Konnte ich dann überhaupt noch singen?

 

Ich hatte viel recherchiert und wie immer eine Vielzahl widersprüchlicher Antworten erhalten. Manche trans Männer konnten nach dem Stimmbruch gar nicht mehr singen und keinen richtigen Ton mehr treffen. Andere machten eine längere Pause und warteten ab, bis der Stimmbruch durch war. Einige sangen einfach während des Stimmbruchs weiter und sagten, sie würde mit ihrer «neuen» Stimme genauso gut wie vorher singen können. Es konnte also recht unterschiedlich ausgehen, und das war eine ziemliche Challenge.

 

Ich beschloss, vorsichtig einfach weiter in die Chorproben zu gehen und, so gut es ging, mitzusingen. Die Stimme wurde zwar immer tiefer, aber auch erstmal dünner, kratziger und leiser. Manchmal musste ich nach der halben Probe aufhören, um meine Stimmbänder nicht weiter zu strapazieren. Und doch: Wenn ich mit Bruststimme sang, spürte ich die Vibration im ganzen Oberkörper. Was für ein grossartiges Gefühl! 

 

Was ich aber auch schnell merkte: Im Kopf war ich immer noch Sopran, auch wenn der neue Tonraum eine bis zwei Oktaven tiefer lag. Nach 40 Jahre Singen wusste ich eigentlich genau, wo ich die Töne platzieren musste, wie ich den richtigen Ton treffen konnte. Doch das musste ich als Bariton nun wieder ganz neu lernen. Anfangs lag ich oft schwer daneben und habe viel zu hoch gesungen. In meinem Kopf musste die tiefe Stimmlage ganz neu gelernt und verdrahtet werden. Ich habe quasi wieder von vorne angefangen.

 

Ich beschloss, mir neben meinem «klassischen» Chor noch einen weiteren Chor zu suchen und bin bei Schwubs, den schwulen Berner Sängern, gelandet. Und das war eine weitere Offenbarung: Ein völlig neues Repertoire, auswendig singen, Choreographien lernen und kleine Schauspielpassagen übernehmen. Ich kam mir vor wie bei den
ersten Autofahrstunden: Kuppeln, schalten, Rückspiegel, Schulterblick – alles parallel... Hilfe! Doch seit 10 Jahren weiss ich, dass ich damals eine goldrichtige Entscheidung getroffen habe.

 

Singen macht aber nicht nur Spass, sondern ist erwiesenermassen gesundheitsfördernd. Glückshormone werden ausgeschüttet, Stresshormone abgebaut, negative Stimmungen weichen. Wie oft gehe ich gestresst und müde in die Probe und komme beschwingt und mit dem letzten Lied auf den Lippen wieder nach Hause: Yes, I’m happy because I sing! (Zitat William James).

 

Text: Henry Hohmann