Wir non-binären Menschen sind schon lange hier

Evianne Hübscher hat 2016 die Website nonbinary.​ch gestartet, arbeitet auch in verschiedenen anderen aktivistischen Projekten, macht Beratung, Workshops sowie Vorträge zu Geschlechtervielfalt mit Schwerpunkt auf non-binärem Geschlecht.

In Schweizer Medien sind non-binäre Menschen schon länger sichtbar (siehe Jahresrückblicke auf nonbinary.​ch), aber seit dem negativen bundesrätlichen Bericht zu nicht-binären Geschlechtseinträgen aus dem Dezember 2022 (siehe Beitrag aus Februar 2023 von Henry Hohmann) hat das wohl noch etwas zugenommen. Was aber genau sind non-binäre Menschen? 

 

Vereinfacht können wir sagen, dass der Begriff «non-binär» alle Menschen umfasst, die sich mit den Labels «Frau» oder «Mann» überhaupt nicht oder nur teilweise repräsentiert sehen. Der Begriff enby ist eine Kurzform und genderqueer ist ein älterer synonymer Begriff. Grundsätzlich sagt non-binäres Geschlecht nur etwas über die Geschlechtsidentität einer Person aus, aber nichts über die Merkmale des Körpers, das Erscheinungsbild, die sexuelle Orientierung oder Geschlechterrollen. Wir können also einer Person das non-binäre Geschlecht auch nicht ansehen. Eigentlich könnten wir auch sagen, dass alle non-binären Menschen per Definition trans sind. Denn trans Menschen sind jene, die sich nicht mit dem bei Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren und in der Schweiz gibt es eben auch noch keine nicht-binären Geschlechtseinträge. Aber trotzdem gibt es non-binäre Menschen, die sich selbst nicht als trans sehen.

 

Non-binär ist ein Oberbegriff für viele Geschlechtsidentitäten. Unter diesen hat es auch einzelne, wo sich non-binäre Menschen teilweise als «Frau» oder «Mann» verstehen. Das sind Labels wie Demi Woman oder Demi Man – «zur Hälfte» Frau oder Mann. Auch genderfluide Personen können sich an einzelnen Tagen als Mann fühlen und dann aber an anderen als Frau. Eine Person mit dem Label androgyn sieht das eigene Geschlecht als eine Mischung aus Männlichkeit und Weiblichkeit. Eine agender Person hingegen würde ihr Geschlecht als neutral bezeichnen oder sie würde allenfalls auch sagen, dass sie gar kein Geschlecht hat. Das Label neutrois bezeichnet ein Geschlecht total unabhängig von Männlichkeit und Weiblichkeit. Alok Vaid-Menon schreibt im Buch «Mehr als binär»: «Es gibt genau so viele Möglichkeiten, nicht-binär zu sein,
wie es nicht-binäre Menschen gibt.
Diese Komplexität ist nicht chaotisch, sie existiert einfach.» Gemäss einem Bericht der Schweizer Nationalen Ethikkommission aus dem Jahr 2020 können wir für die Schweiz von 103’000 bis 154’000 Menschen mit non-binärer Geschlechtsidentität ausgehen. 

 

Müsst ihr aber jetzt alle diese Geschlechtsidentitäten verstehen und alle oben angedeuteten Labels kennen? Nein, für einen ersten Schritt reicht es völlig aus, zu respektieren, dass diese Menschen sich nicht oder nicht vollständig als Frauen oder Männer verstehen und deshalb auch nicht als solche bezeichnet werden möchten. Wer es genauer wissen will, kann sich auf nonbinary.​ch vertiefen. 

 

Text: Evianne Hübscher, nonbinary.ch