Verlag Paulette feiert den ersten Jahrestag seines Coming-outs

Unter allen Verlagen in der Romandie widmet einzig der Verlag Paulette eine Buchreihe LGBTQIA+-Texten. Die Reihe begann mit dem Kollektivwerk Cuisson au feu de bois und wurde etwas wie das Sprachrohr für vielfältige und intime Geschichten, welche die Geschlechterkategorien sprengen.

Januar 2021, ein sonderbarer Aufruf zirkuliert in den sozialen Netzwerken: Verlag Paulette sucht neue Autor*innen für eine LGBTQIA+-Literatursammlung. Innert weniger Monate erhält der Lausanner Verlag 76 Vorschläge. Davon berücksichtigt er 23 für ein kollektives und mitreissendes Werk: Cuisson au feu de bois (frei übersetzt: Kochen auf dem Holzfeuer).

Der Verlag Paulette wurde 2009 vom Autor Sébastien Meier gegründet und 2015 von den beiden Schriftsteller*innen Noémi Schaub und Guy Chevalley übernommen. Paulette veröffentlicht ab dann «Zapfen», also Kurzgeschichten. Im letzten September dann wird ihr Katalog durch die Sammlung Grattaculs ([Arsch-]Kratzerli) ergänzt, benannt nach dem Helvetismus für Hagebutte.

Cuisson au feu de bois ist das erste in der Reihe veröffentlichte Werk. Darin begegnen sich Fiktion, autobiografische Geschichten, Gedichte und Kreuzworträtsel, ohne sich je in die Quere zu kommen. Gewisse Autor*innenstimmen, die während Monaten an ihren Texten feilten, stossen darin zum ersten Mal auf offene Ohren. Colin Golay zum Beispiel beendete das Gymnasium und hatte vor diesem Erlebnisbericht über seine Transition noch nichts veröffentlicht: «Ich will meine Haut bei Tageslicht sehen ohne sie verstecken zu wollen. Damit ist Schluss. Ich will nichts mehr unter zu weiten Kleiderschichten verbergen. Ich will reden.» Andere hat man schon vernommen, wie den Schriftsteller und Journalisten Julien Burri oder Greta Gratos und Emile Fleuve, die bei Paulette schon veröffentlicht worden sind. Oder auch jene von Ezra Sibyl Benisty, Poet, Künstler und Experte in englischer Literatur, sier die Sammlung mit einer feinsinnig-tragischen Geschichte über ein Familienfrühstück eröffnet.

Paulettes Engagement findet sich auch in seiner Drucklogik. Denn der Verlag bevorzugt das lokale Können und lässt alle seine Werke in der Schweiz herstellen. Die «Zapfen» waren für die Leserschaft einerseits als Überraschung im Abonnement erhältlich, anderseits aber auch um eine Überproduktion zu vermeiden. Cuisson au feu de bois macht da keine Ausnahme, obwohl die Kosten vier- bis fünfmal höher sind, als beim Druck im Ausland. Trotzdem zögerten Noémi Schaub und Guy Chevalley nicht, eine Erstauflage von tausend Exemplaren vorzusehen. 

Ihr Wagemut entstammt der Gewissheit, dass eine Lücke zu füllen ist: In der Romandie gab es keine Literaturreihe, die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung gewidmet ist. Mit dem grell-gelben Buchdeckel erhebt sich Cuisson au feu de bois wie eine wilde Pflanze aus der Westschweizer Literaturlandschaft. Der Verlag verzichtet nicht auf literarische Qualität, aber er lehnt es ab, die Geschichten gefällig zu machen. Das Vorwort besagt es: «Wenn den nachfolgenden Werken eines gemeinsam ist, dann ist es das Bedürfnis, die Beziehung zur Welt neu zu erfinden, das Beste zu behalten ohne das Schlimmste zu verschweigen.» Die Rosen sind rot, die [Arsch-]Kratzerli ebenfalls, und jede Jahreszeit eignet sich für den Genuss dieser einfühlsamen und bestechenden Sammlung.

Text: Céliane de Luca
Übersetzung: Max Krieg

Hier findest du das gesamte Pink Mail 01-2022 als PDF.