Ehe für Alle – Jetzt wird es konkret

Mit der Einführung der Ehe für alle am 1. Juli 2022 stellen sich viele Fragen. Roman Kern, Rechtsanwalt, Notar und Mediator SAV hat unsere Fragen zur Ehe beantwortet.

Pink Cross: Die Ehe für alle tritt nächsten Sommer in Kraft, ab wann können wir dann genau heiraten und sollten wir irgendwas vorbereiten, wenn man seine Partnerschaft in eine Ehe umwandeln möchte?

Roman Kern: Meine erste Antwort ist: Termin beim Standesamt reservieren, Party planen, Einladungen verschicken. Der früheste Heiratstermin ist der 1. Juli 2022. Vorbereiten kann man schon jetzt.

In meiner zweiten Antwort spricht der Anwalt aus mir und da lautet die Empfehlung: Trefft eine informierte Entscheidung und überlegt euch, welche Rechte auf eure Ehe anwendbar sein sollen. Man hat nämlich Wahlmöglichkeiten. Während in der eingetragenen Partnerschaft die Gütertrennung gilt, ist ab der Eheschliessung die Errungenschaftsbeteiligung anwendbar, wenn nichts anderes vereinbart wird. Die Errungenschaftsbeteiligung ist das Standardmodell, das für Hetero-Paare mit einem auswärts arbeitenden Vater und einer kinderbetreuenden Mutter entwickelt wurde. Bei der Errungenschaftsbeteiligung gehört jeder Person selbst, was man in die Ehe einbringt und zum Beispiel als Erbschaft oder Genugtuungszahlung während der Ehe erhält (Eigengüter). Das Eigengut erhält man bei der Scheidung zurück, wenn es noch vorhanden ist. Was während der Ehe verdient und gespart werden kann, bildet die sogenannte Errungenschaft und ist im Scheidungsfall zu teilen. Dieses Modell, bei dem man die Ersparnisse während der Ehe teilt, kann passen, muss aber nicht.

Ich empfehle vor der Heirat über das Thema Geld in der Beziehung zu sprechen und sich zu einigen, wie man den gemeinsamen Haushalt und die je persönlichen Ausgaben finanzieren möchte und wem welche Ersparnisse zustehen (insbesondere bei einer Scheidung und im Todesfall). Solche, sowie weitere finanziellen und Fairness-Überlegungen, können zum Schluss kommen, lieber mit einem Ehevertrag vom Standardmodell abzuweichen – oder allenfalls sogar auf eine Eheschliessung zu verzichten (z.B. wenn man die Pensionskassenersparnisse nicht teilen möchte).

Es macht ausserdem Sinn, die Vermögenswerte beim Tag der Eheschliessung zu dokumentieren (Kontostand etc.), damit im Todesfall oder bei einer Scheidung klar ist, wer wieviel Vermögen in die Ehe mitgebracht hat.

 

Können Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, diese weiter beibehalten oder werden alle Partnerschaften in eine Ehe umgewandelt?

Mit der Ehe für alle haben eingetragene Partner*innen eine Wahlmöglichkeit. Sie können die eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umwandeln, müssen das aber nicht. Es gibt keine automatische Umwandlung und die eingetragene Partnerschaft kann unbeschränkt fortgeführt werden. Die eingetragene Partnerschaft ist aber insofern ein «Auslaufmodell», als man ab dem 1. Juli 2022 keine neuen eingetragenen Partnerschaften mehr eingehen kann.

 

Was passiert mit Paaren, die im Ausland geheiratet haben und deren ausländische Ehe in der Schweiz bisher nur als eingetragene Partnerschaft anerkannt wurde?

In diesen Fällen wird die Ehe rückwirkend auf die Eheschliessung im Ausland als Ehe anerkannt. Das hat Folgen für den Güterstand. Diese Paare haben bisher in der Schweiz unter dem Regime der Gütertrennung gelebt. Die rückwirkende Änderung kann daher Auswirkungen auf die finanzielle Aufteilung unter den Partner*innen haben. Das Gesetz sieht darum eine Übergangsregelung vor. Jede*r von beiden hat das Recht, mit einer einseitigen schriftlichen Erklärung festzulegen, dass bis zum 1. Juli 2022 weiterhin die Gütertrennung gelten soll. Soll die Gütertrennung auch danach noch gelten, muss das Paar einen Ehevertrag im Notariat beurkunden lassen.

 

Was verändert sich mit der Ehe für binationale Paare? 

Ausländische Ehepartner*innen können sich erleichtert einbürgern lassen. Dieses Recht gilt mit der Öffnung der Ehe auch für die ausländische Ehefrau einer Schweizerin und den ausländischen Ehemann eines Schweizers. Bisher stand gleichgeschlechtlichen Paaren nur die ordentliche Einbürgerung zur Verfügung.

 

Frauenpaare haben ab dem 1. Juli Zugang zur professionellen Samenspende in der Schweiz. Welche Möglichkeiten haben Männerpaare mit einem Kinderwunsch?

Neben der Stiefkindadoption, die bereits in der eingetragenen Partnerschaft möglich war, und der Adoption durch eine einzelne erwachsene Person, erlaubt das Gesetz ab dem 1. Juli 2022 neu auch die gemeinschaftliche Adoption für gleichgeschlechtliche Ehepaare. Das macht es aber noch lange nicht einfach. Adoptionen im In- und Ausland sind langwierige Prozesse, die Vorbereitungszeiten brauchen. Über die Hürden bei der Adoption sprach Natalie Ehrenzweig in der letzten Ausgabe vom Pink Mail.

 

Wird mit der Ehe für alle auch die Leihmutterschaft in der Schweiz legalisiert?

Nein. Die Leihmutterschaft ist in der Schweiz weiterhin verboten und zwar unabhängig von der sexuellen Orientierung der Personen, die Eltern werden möchten.

Wenn die Dienste einer Leihmutter im Ausland in Anspruch genommen werden, so müssen gemäss der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zumindest die mit dem Kind genetisch verwandten Elternteile (z.B. der samenspendende Vater) anerkannt werden. Das andere Elternteil kann sich dann über die Stiefkindadoption zur rechtlichen Elternschaft verhelfen.

 

Was ist noch wichtig?

Zwei Dinge: Ersten empfehle ich (mit unterschiedlicher Dringlichkeit je nach Alter und Gesundheitszustand) Vorkehrungen für Krankheit und Tod zu treffen. Indem man gewisse Entscheidungen bereits selbst getroffen und niedergeschrieben hat (z.B. in einem Testament, einer Patientenverfügung oder einem Vorsorgeauftrag), entlastet man sein Gegenüber.

Und zweitens empfehle ich gerade auch in queeren Beziehungskonflikten, die man zu zweit am Küchentisch nicht mehr lösen kann, einvernehmliche und selbstbestimmte Lösungen abseits des Gerichts zu suchen (z.B. in einer Paartherapie, einer Mediation oder einem CLP-Verfahren).