Braucht es überhaupt ein amtliches Geschlecht?

In der Schweiz haben wir alle ein amtliches Geschlecht. Bereits in der Geburtsurkunde muss es stehen, auch wenn zum Beispiel bei einem intergeschlechtlichen Kind nicht klar ist, welches einzutragen wäre. Doch: Mehr und mehr Menschen erkennen, dass sie nicht in das normierte Schema von männlich oder weiblich hineinpassen...

Henry Hohmann ist Transaktivist und setzt sich seit über 10 Jahren für die Rechte von trans Men- schen ein. Von 2010 bis 2018 war er Präsident bzw. Co-Präsident von Transgender Network Switzerland.

In der Schweiz haben wir alle ein amtliches Geschlecht. Bereits in der Geburtsurkunde muss es stehen, auch wenn zum Beispiel bei einem intergeschlechtlichen Kind nicht klar ist, welches einzutragen wäre. Doch: Mehr und mehr Menschen erkennen, dass sie nicht in das normierte Schema von männlich oder weiblich hineinpassen. Und unsere Gesellschaft beginnt, geschlechtliche Vielfalt zunehmend zu akzeptieren. Aber nach wie vor muss etwa bei Formularen oft auch das Geschlecht angegeben werden. Warum ist das überhaupt wichtig, wenn ich im Internet nur ein Buch bestellen möchte oder eine Anfrage stelle? Viele Leser*innen mögen jetzt einwenden, dass sie das nicht betrifft, weil sie ohne gross nachzudenken ihr Geschlecht angeben können. Doch was, wenn dein Geschlecht gar nicht zur Auswahl steht? Was soll eine nicht binäre Person ankreuzen, wenn Mann oder Frau nicht zutrifft?

Zum Glück gibt es immer häufiger die Möglichkeit, dass als Geschlechtsoption zumindest «andere» gewählt werden kann, wenn denn unbedingt etwas angekreuzt werden muss. Aber führt das wirklich zur Anerkennung von Menschen jenseits der bei den Normgeschlechter? Eigentlich sollte an ganz anderer Stelle angesetzt werden: Müssen Menschen überhaupt vom Staat mit einem Geschlecht registriert werden? Aktuell gibt es in der Schweiz dafür nur zwei Gründe: Das AHV-Alter und die Militärpflicht. Ist es nicht an der Zeit, auch darüber nachzudenken und grundsätzlich faire und gerechte Bedingungen für alle zu schaffen?

Die Nationale Ethikkommission hat im letzten Jahr einen Bericht vorgelegt, ob die Schweiz nicht auch eine weitere Geschlechtsoption einführen müsse. Sie kommt zu dem Schluss, dass ein neuer Geschlechtseintrag wie «divers» wichtig für die Sichtbarkeit weiterer Geschlechter neben Frau und Mann wäre. Doch eigentlich wäre es am sinnvollsten, so das Fazit, langfristig den amtlichen Geschlechtseintrag ganz zu streichen. Und viele nicht binäre Stimmen fordern auch genau dies: Wenn sie die Wahl hätten zwischen einem dritten oder gar keinem Geschlechtseintrag, wären sie ganz klar für letzteres. Als welches Geschlecht wir uns jeweils im Alltag präsentieren, ist sowieso unsere Privatsache. Aber warum sollte es eigentlich vom Staat erfasst werden und in der Geburtsurkunde und der ID stehen?

 

Text: Henry Hohmann