Wie heteronormativ sind Regenbogenfamilien?
Nicht zuletzt durch die Abstimmung ‘Ehe für alle’ erlangten Regenbogenfamilien vermehrte Sichtbarkeit. Inwiefern passen sie sich an vorherrschende Familiennormen an und inwiefern weichen sie von diesen ab?
In unserem Forschungsprojekt zu Regenbogenfamilien in der Schweiz untersuchen wir, wie queere Familien gebildet werden und wie sie ihren Familienalltag erleben. In unseren Interviews werden die Fragen von ‘normal’ und ‘anders’ sein von den Teilnehmenden immer wieder aufgeworfen, so auch von Dieter (Name geändert):
Dieter wohnt mit seinem Mann, seinen beiden Kindern und einer guten Freundin, der Mutter ihrer Kinder, in einem grossen Haus. Das gemeinsame Abendessen am langen Holztisch ist ein Fixpunkt ihres Familienlebens. Dieter lacht bei der Erinnerung daran, wie sie damals zu dritt am Geburtsvorbereitungskurs teilgenommen haben. Allgemein hat er nicht das Gefühl, dass ihre Familie aufgrund der von der Norm abweichenden Konstellation diskriminiert werde. «Wir hatten nie Situationen, in denen wir uns krass hätten erklären müssen», meint er. «Das liegt an zwei Sachen: Zum einen gehe ich extrem selbstsicher mit meiner Situation um, zum anderen bin ich auch nicht sonderlich ‘tuntig’». Dem gegenüber steht der Fakt, dass lediglich einer der Väter und die Mutter die rechtlichen Eltern ihrer Kinder sind. Sollte es zu Verwerfungen zwischen den drei Eltern kommen, wäre der nicht rechtliche Vater in einer äusserst verletzlichen Situation.
Die Vorstellung, wie eine ‘normale’ Schweizer Familie auszusehen hat, hat auch Auswirkungen auf Dieter und seine Familie: Eine Kleinfamilie, bestehend aus zwei cisgeschlechtlichen, heterosexuellen, weissen Mittelschichtseltern, welche mit ihren biologischen Kindern im gleichen Haushalt leben. Diese Norm ist weiterhin stark verbreitet, auch wenn sie unter anderem aufgrund von hohen Scheidungsraten, einer durchmischteren Gesellschaft oder Regenbogenfamilien nicht der Realität entspricht. Unsere bisherigen Forschungsresultate zeigen, dass sich Regenbogenfamilien einerseits dieser cis-heteronormativen Norm anpassen (müssen), um dem Bild von ‘guten Eltern’ und einer ‘glücklichen’ Familie zu entsprechen und insbesondere, um ihre Kinder vor (erwarteter) Diskriminierungen zu schützen. Dies gelingt meistens privilegiert( er)en Eltern besser als solchen, welche Rassismus erfahren – als weisser Vater, der studiert hat, befindet sich Dieter diesbezüglich in einer privilegierten Position. Einer von mehreren weiterer Diskriminierungsfaktoren ist der Geschlechtsausdruck, also wie das Verhalten und Erscheinungsbild einer Person von aussen wahrgenommen wird. Dieter reflektiert diesbezüglich, dass er mehr Diskriminierung erleben würde, wenn er queerer gelesen würde.
Wie Familie gelebt wird, ist keine Selbstverständlichkeit: Queere Menschen wie Dieter müssen sich gut überlegen, wie sie eine Familie formen können und wie sie Familie im Alltag leben wollen. Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Regenbogeneltern kreative, individuelle Wege finden, um die (teilweise) einengende Familiennormen zu sprengen und eine Art der Elternschaft und Familie zu leben, die ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Regenbogenfamilien hegemoniale Familiennormen einerseits reproduzieren und anderseits herausfordern. Dadurch sprengen sie den Grad zwischen Anpassung und Rebellion und tragen letztlich zu einer Erweiterung normativer Verständnisse von Familie bei.
Das Forschungsprojekt ‘Regenbogenfamilien in der Schweiz’ sucht Forschungsteilnehmende: Wer (Wunsch-)Eltern ist und gerne bei einer Umfrage und/oder einem Interview mitmachen möchte, darf sich gerne bei den Autor*innen melden:
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Mehr Infos unter: www.queerefamilien-forschung.ch
Text: Carole Ammann (sie/ihr) & Leo Valentin Theissing (dey/denen), Universität Luzern