Vom bemitleidenswerten Opfer zur weltumspannenden «Trans-Lobby»?
Früher war die Welt noch in Ordnung! Da wurden «transsexuelle» Menschen einfach als tragische Marginalie des Geschlechts angesehen, als bemitleidenswerte Kreaturen, vor denen man auf der Strasse die Kinder wegzerrte und über die man nur hinter vorgehaltener Hand sprach.
Damit es diese merkwürdigen Wesen nicht allzu leicht haben, hat man ihnen Gesetze in den Weg gestellt, die allerhand körperliche Eingriffe und einen Seelenstriptease verlangten, wenn sie Namen oder Geschlechtseintrag ändern wollten. Dass viele trans Personen den Schritt zum Leben in ihrem richtigen Geschlecht erst spät und nach Jahren des Zweifelns machten, ist klar. Dass dies häufig zu tragischen Lebensgeschichten führte, war ein gefundenes Fressen - nicht nur für die Boulevardpresse. Die Stilisierung von trans Menschen als Opfer – ohne die Strukturen, die dazu führten, je wirklich zu benennen – hat über Jahrzehnte das Bild von trans Menschen in der Gesellschaft geprägt. Doch nun ist ja zum Glück alles besser! Wir leben in aufgeklärten Zeiten, trans und nicht binäre Menschen sind sichtbar wie nie zuvor, es wird gegendert, dass die Sternchen blinken. Oder?
Tatsächlich gibt es seit gut 20 Jahren eine Trans-Bewegung in der Schweiz, es gibt Organisationen, die die Rechte von trans Personen vertreten,
Beratungsstellen, Fachgruppen, Kongresse. Die Medien ermöglichen, auch dank der Aufklärungsarbeit durch trans Organisationen, einen informierteren Zugang zum Thema. Trans Menschen werden zunehmend als Fachpersonen wahrgenommen und nicht nur als «Betroffene».
Doch seit einiger Zeit ändert sich das. Eine internationale Anti-Gender-Bewegung hat trans Menschen zu ihrem Feindbild ernannt: Sie bezeichnen sie als eine laute Minderheit, die der schweigenden Mehrheit ihr Weltbild aufdrängen, die traditionellen Geschlechter abschaffen und das althergebrachte Familienbild zerstören will. Es gäbe eine weltweit agierende «Trans-Lobby», die Kinder in ihren Bann zieht, um sie mit ihren Genderideen zu infiltrieren. Sehr schnell wurde so ein Netz aus dreisten Lügen gesponnen, und längst hat sich dies auch über die Schweiz gelegt.
Was sind die Folgen? Es wird vermehrt Unverständnis und Hass gegenüber trans Menschen geschürt. Zahlreiche Zeitungsartikel und Fernsehberichte der letzten Monate entwerfen wieder ein deutlich einseitigeres Bild des Themas. Die jahrelange Aufklärungs- und Informationsarbeit wird jetzt durch die immer gleichen Artikel der immer gleichen Autor*innen zunichte gemacht. Es ist ebenso Stimmungsmache wie bewusste Desinformation. Sie sagen Ungenaues bis Falsches, das immer wiederholt wird. Solange, bis man glaubt, dass da doch etwas Wahres dran ist – eine typische Taktik rechter Populist*innen.
Schon jetzt spüren queere Menschen und insbesondere trans Personen, wie sich der gesellschaftliche Wind gedreht hat. Rechte, populistische Ansichten sind salonfähig geworden, Hass und Gewalt entladen sich schneller, die Hemmschwelle sinkt. Und wieder werden trans Menschen Opfer. Wie damals.
Nur: Jetzt wehren wir uns! Und wir haben Verbündete, die aufstehen und dagegenhalten, wenn krude Ansichten über trans Menschen verbreitet werden. So wie hoffentlich auch du, liebe*r Leser*in!
Text: Henry Hohmann