Trans-Geschichte(n): Ewan Forbes

Henry Hohmann ist Transaktivist und setzt sich seit über 10 Jahren für die Rechte von trans Menschen ein. Von 2012 bis 2018 war er Präsident bzw. Co-Präsident von Transgender Network Switzerland.

Die Geschichte von Sir Ewan Forbes ist ebenso erstaunlich wie skurril. Sie handelt von einem Rechtsstreit, der das Erbrecht der männlichen Erstgeburt (Primogenitur) im britischen Hochadel ins Wanken gebracht hätte. Darüber hinaus hätte er die Rechte von trans Menschen in Grossbritannien enorm gestärkt. Doch der Fall wurde aktiv unterdrückt. Sämtliche Unterlagen waren mehr als 50 Jahre nicht zugänglich.

 

Sir Ewan wurde 1912 als viertes Kind des Baronets Forbes of Craigievar geboren und nach der Geburt als weiblich eingetragen. Schon früh begann er als Junge zu leben. 1932 erhielt er in München als einer der ersten trans Männer vermännlichende Testosteronspritzen. Später liess er unbürokratisch seine Geburtsurkunde ändern, 1950 heiratete er.

 

Doch in den 1960er Jahren änderte sich Ewans ruhiges Leben mit seiner Frau. Anlass war der Tod seines älteren Bruders William, des 10. Baronets. Die Weitergabe des Adelstitels war durch das Erstgeborenenrecht geregelt: Nur männliche Personen konnten ihn erben, und William hatte keine Söhne. Nächster in der Erbfolge war somit Ewan. Doch wie der Bösewicht in einem Melodram erschien bei Williams Beerdigung Ewans Cousin John, der sein Recht auf den Titel einforderte. Als Begründung gab er an, dass Ewan gar kein Mann sei, sondern rechtlich eine Frau. Die männliche Geburtsurkunde sei ungültig und er somit nicht erbberechtigt.

 

Es folgte ein dramatischer Rechtsstreit: Forbes musste nun beweisen, dass er ein Mann war. Er liess sich sogar auf eine entwürdigende körperliche Untersuchungen ein – dies war die Zeit, in der trans Menschen durch die Medizin zunehmend pathologisiert wurden. Damals war eine Geschlechtsänderung nur dann zulässig, wenn «das Geschlecht bei der Geburt unbestimmt war und sich später herausstellte, dass ein Fehler gemacht worden war». Es dauerte drei Jahre, bis das Urteil ihn nicht als trans, sondern als intergeschlechtlich einstufte. Dies führte schliesslich dazu, dass der Innenminister seinen Anspruch auf den Titel anerkannte. 

 

Das britische Gewohnheitsrecht beruht auf der «Doktrin des Präzedenzfalls»; ein wichtiges Gerichtsurteil wirkt sich auf alle nachfolgenden Entscheidungen aus. Daher müssen alle Urteile öffentlich zugänglich sein. Da die Verhandlung jedoch in nichtöffentlicher Sitzung stattfand, wurde die Entscheidung nicht als Präzedenzfall zur rechtlichen Anerkennung von trans Personen anerkannt. Die Gerichtsakten waren für nachfolgende Generationen zunächst nicht mehr verfügbar. Erst 1991 wurden Teile der Akten zugänglich. 2021 wurde der Fall dann vollständig öffentlich dokumentiert.

 

Nachdem die Erbschaft geklärt war, zog Forbes sich aus der Öffentlichkeit zurück. Er starb 1991 kinderlos. Ironie der Geschichte: Sein Cousin John, der in den 1960er Jahren den Rechtsstreit begonnen hatte, wurde dann sein legitimer Nachfolger im Adelsstand. 

 

Erst 40 Jahre nach dem damals bahnbrechenden, aber geheimgehaltenen Urteil verabschiedete Großbritannien 2004 das Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit (Gender Recognition Act). Mit ihm wurde es für trans Personen möglich, das amtliche Geschlecht zu ändern. Und bis heute ist die Primogenitur ein grundlegender Machtfaktor im britischen Hochadel geblieben. Erst in jüngster Zeit haben Frauen der Bewegung «Daughters Rights» die britische Regierung gegen diese erbrechtliche Ungleichbehandlung und Geschlechterdiskriminierung verklagt.

 

Text: Henry Hohmann