Die Rolle der sexuellen Orientierung im Gleichstellungsgesetz

Gemäss der aktuellen «Rainbow Map» von ILGA Europe besteht in der Schweiz kein Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung im Arbeitsleben. Das stimmt aber so nicht ganz. Die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln sehen einen persönlichkeitsrechtlichen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung vor...

David Rosenthal ist Jus-Student an der Universität Zürich und hat seine Masterarbeit der Auslegung des Gleichstellungsgesetzes in Bezug auf die sexuelle Orientierung gewidmet. Die Masterarbeit wurde von der Universität Zürich mit einem Semesterpreis ausgezeichnet. David engagiert sich als LGBTIQ-Aktivist unter anderem bei der Milchjugend und ist auch als Fotograf an queeren Anlässen anzutreffen. 

Gemäss der aktuellen «Rainbow Map» von ILGA Europe besteht in der Schweiz kein Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung im Arbeitsleben. Das stimmt aber so nicht ganz. Die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln sehen einen persönlichkeitsrechtlichen Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung vor. Dieser Schutz erstreckt sich jedoch nicht auf alle Gebiete des Arbeitslebens und umfasst insbesondere den Anstellungsprozess nicht. Mit anderen Worten darf ein Unternehmen oder sogar der Bund eine Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Anstellung verweigern. So sieht es jedenfalls das Bundesgericht, denn einen Schutz vor Diskriminierung bei der Anstellung wird praktisch nur durch das Gleichstellungsgesetz (GIG) gewährt. Nach einem bundesgerichtlichen Leitentscheid aus dem Jahre 2019 (BGE 145 II 153), ist eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung aber nicht als direkte Geschlechterdiskriminierung im Sinne von Art. 3 GlG zu verstehen. Das Gleichstellungsgesetz umfasse nach dessen Wortlaut nur Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, nicht aufgrund der sexuellen Orientierung. Wenn also zum Beispiel ein Mann bei der Arbeit aufgrund seines Geschlechts Diskriminierung erlebt, kann er sich auf das Gleichstellungsgesetz berufen. Wenn dieser gleiche Mann aber bei seiner Arbeitsstelle aufgrund seines Schwulseins diskriminiert wird, kann er sich nicht mit Bezug auf das Gleichstellungsgesetz wehren.

Seit diesem Entscheid des Bundesgerichts hat sich jedoch reger Widerstand in der Wissenschaft gebildet. Die neuere Lehre ist sich klar einig, dass das Gleichstellungsgesetz auch vor Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Orientierung schützt. Dabei werden unterschiedliche Ansätze vertreten. Einerseits wird an die mit der sexuellen Orientierung einhergehende Stereotypisierung angeknüpft. Andererseits wird die Kategorisierung in Homo-, Bi- und Heterosexualität selbst zum Anlass genommen, darin eine Geschlechterdiskriminierung zu erblicken.

Geschlechterstereotypisierung
Ganz im Sinne der Gender Studies wird von diesem Teil der Lehre das Geschlecht umfassend verstanden. Zum rechtlichen Geschlechterbegriff gehören demnach nicht nur biologische Merkmale, sondern eben auch sozial konstruierte wie beispielsweise der Geschlechtsausdruck. Nach diesem Verständnis ist auch die sexuelle Orientierung als geschlechterbezogenes Merkmal zu verstehen. Denn ein Mann sei nur ein “richtiger” Mann, wenn er auf Frauen stehe, das heisst heterosexuell ist. Wird ein schwuler Mann aufgrund seiner Homosexualität benachteiligt, dann erfolge das auch deshalb, weil er aus Sicht des Arbeitgebenden kein “richtiger” Mann sei. Diese Ansicht stützt sich einerseits auf bekannte Theorien der Gender Studies, wie etwa Judith Butlers heterosexuelle Matrix, Adrienne Richs Compulsory Heterosexuality oder Julie Greenbergs Gender Non-Conformity Theory. Andererseits wird an dieser Stelle auch an sozialpsychologische Erhebungen angeknüpft, welche Klischeevorstellungen Homosexueller als nicht geschlechtertypisch aufdecken: Der feminine Schwule, die maskuline Lesbe. Wenn also eine Person aufgrund ihrer homo- oder bisexuellen Orientierung benachteiligt wird, dann weil sie sich nicht geschlechtertypisch verhält, weshalb der Diskriminierungsschutz des Gleichstellungsgesetzes greifen soll.

 

David hat für seine Masterarbeit zum Gleichstellungsgesetz einen Semesterpreis der Universität Zürich erhalten

 

Alternative Betrachtung der Kategorien
Die andere Sichtweise wurde zuletzt durch einen Entscheid des US Supreme Courts vermittelt. In Bostock v. Clayton County hat das oberste Gericht der USA sich gefragt, was eigentlich in der Definition der sexuellen Orientierung enthalten ist. Eine Person ist schwul, wenn sie als Mann sich zu Männern hingezogen fühlt. Die sexuelle Orientierung dieser Person kann folglich nur unter Berücksichtigung ihres eigenen Geschlechts bestimmt werden. Weiss der Arbeitgebende hingegen nicht, ob es sich um einen Arbeitnehmer oder um eine Arbeitnehmerin handelt, kann ihre sexuelle Orientierung gar nicht bestimmt werden. Das heisst in der logischen Folge, dass niemand wegen ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt werden kann, ohne dass ihr Geschlecht bekannt ist. Wenn also einer Person aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung die Anstellung verweigert wird, spielt ihr Geschlecht per Definition eine massgebliche Rolle für diese Entscheidung, weshalb es sich auch um eine Geschlechterdiskriminierung handelt. Diese Argumentationsweise ist besonders elegant, weil dabei nicht argumentiert werden muss, dass das Geschlecht ein soziales Konstrukt ist. Stattdessen werden die herkömmlichen Kategorien homo- und heterosexuell hinterfragt. Die Benachteiligung soll etwa nicht im Vergleich zwischen homosexuellen Männern und Frauen bestimmt werden, sondern zwischen männerliebenden Männern und Frauen. Diese Begrifflichkeit kommt uns sicherlich allen bekannt vor.

Was bedeutet das nun in der Praxis?
Das Bundesgericht hat sich bisher nur in diesem einen Entscheid aus dem Jahr 2019 zur Frage geäussert, ob eine Benachteiligung aufgrund der sexuellen Orientierung eine direkte Geschlechterdiskriminierung im Sinne des Gleichstellungsgesetzes darstellt. Dieser Entscheid wird durch die neuere Lehre stark relativiert und in Frage gestellt, denn Entscheide des Bundesgerichts sind für untere Instanzen nicht rechtlich bindend. Schlichtungsstellen, kantonale und kommunale Gerichte, sowie das Bundesverwaltungsgericht können in ihren Entscheiden von dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung abweichen. In aller Regel zögern tiefere Instanzen jedoch, eine solche Abweichung vorzunehmen. Aus diesem Grund würde ich einen neuen Entscheid des Bundesgerichts zu dieser Frage stark begrüssen, in dem es die neuere Lehre näher betrachtet. Dafür braucht es jedoch einen Testfall, das heisst eine Person, welche aufgrund ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt wurde und bereit ist, diesen Fall - komme was wolle - bis ans Bundesgericht zu ziehen. Diesem rechtlichen Weg steht jederzeit auch der politische gegenüber, denn Art. 3 des Gleichstellungsgesetzes könnte jederzeit im Wortlaut angepasst werden.

Text: David J. Rosenthal, Student Master of Law und LGBTIQ-Aktivist

 

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