Müssen wir immer out sein?

Ich geniesse es, out und proud zu sein, als schwuler wie als trans Mann. Und doch gibt es Situationen, wo es mir lieber ist, wenn niemand etwas von meiner Geschlechtsidentität weiss. Ich habe das grosse Privileg, dass man mir das Trans-Sein nicht ansieht...

Henry Hohmann ist Transaktivist und setzt sich seit über 10 Jahren für die Rechte von trans Men- schen ein. Von 2010 bis 2018 war er Präsident bzw. Co-Präsident von Transgender Network Switzerland.

Ich geniesse es, out und proud zu sein, als schwuler wie als trans Mann. Und doch gibt es Situationen, wo es mir lieber ist, wenn niemand etwas von meiner Geschlechtsidentität weiss. Ich habe das grosse Privileg, dass man mir das Trans-Sein nicht ansieht. Reaktionen wie «Das hätte ich ja nie gedacht, dass du trans bist» kenne ich zu Genüge und halte sie nicht für ein Kompliment. Denn ich denke dabei an andere trans Personen, denen man «es» offenbar anmerkt und die sich deswegen tagtäglich in unangenehme bis gefährliche Situationen begeben müssen.

Oft bin ich zusammen mit meinem Mann in organisierten Gruppen auf Bergtouren unterwegs. Normalerweise erhalten alle Teilnehmenden eine Namens- und Adressliste der anderen, so dass man sich etwa für die Anreise zusammenschliessen kann. Dass wir ein Paar sind, ist den anderen dann eigentlich sofort klar und nie eine grössere Erwähnung wert. Weniger entspannt bin ich allerdings, wenn ich mir vorstelle, dass die anderen meinen Namen gegoogelt haben könnten. Sind sie auf Medienbeiträge über mich und mein Engagement gestossen? Wie werden sie mit diesem Wissen umgehen?

Merkwürdigerweise mag ich es nicht, bei diesen Freizeitaktivitäten auf meine Geschlechtsidentität angesprochen zu werden. Obwohl ich keine Schwierigkeiten habe, im aktivistischen Umfeld mit anderen darüber zu reden, möchte ich bei diesen Gelegenheiten meine Privatheit geniessen. Denn wenn jemand bereits recherchiert hat, merke ich es oft an etwas längeren Blicken oder einem verstohlenen Mustern, dass sie ganz offenbar nach Zeichen meiner weiblichen Vergangenheit suchen, dies aber niemals ansprechen würden. Und das macht die Situation für mich unangenehm und unentspannt. Und ja, es verunsichert mich. Und ich frage mich: Muss ich denn immer out sein? Bin ich immer zu 100% Aktivist oder manchmal nur Berggänger*in, so wie alle anderen?

Neulich kam eine Teilnehmerin am Ende der Tour auf mich zu und sagte: «Ich habe dich kürzlich im Fernsehen gesehen und wollte einfach nur sagen, wie toll ich es finde, dass du dich so für deine Sache einsetzt». Und das, muss ich zugeben, hat mich dann doch sehr gefreut. 

 

Text: Henry Hohmann