Aus der Community: Hans-Peter Nehmer

Hans-Peter Nehmer ist 55 Jahre alt und arbeitet als Kommunikationschef bei der Allianz Suisse. Er engagiert sich unter anderem im neu gegründeten Wirtschaftsbeirat von Pink Cross und lebt mit seinem Partner seit vielen Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft.

Hans-Peter Nehmer ist 55 Jahre alt und arbeitet als Kommunikationschef bei der Allianz Suisse. Er engagiert sich unter anderem im neu gegründeten Wirtschaftsbeirat von Pink Cross und lebt mit seinem Partner seit vielen Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft.

Lieber Hans-Peter, wie geht es dir? Ich nehme an, dass die letzten pandemiegeprägten Monate sowohl für dich als auch für dein Team sehr fordernd waren?
Danke der Nachfrage, ich bin fit und sehr dankbar dafür. 
Das ist in der Tat so. Die Krisenbewältigung ist aus Sicht der Kommunikation ein Paradebeispiel und ein zentrales Instrument. Der Informationsbedarf ist naturgemäss sehr hoch und dieser muss rasch, transparent, auf Augenhöhe und mit der nötigen Empathie gedeckt werden. Wir haben deshalb neue interne Kommunikationsformen und Formate eingeführt und umgesetzt. Ohne unser grossartiges Team wäre das nicht möglich gewesen und ich habe grosse Freude daran, was wir gemeinsam geleistet haben und weiterhin leisten.

Vor zwei Jahren hast du dich im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin “persönlich” öffentlich als schwul geoutet. Wie war das für dich und wie war das Echo, dass du erhalten hast?
Das Coming-Out entstand sehr zufällig und war für mich im ersten Moment eigentlich gar nicht geplant. Die Journalistin erkundigte sich über unser LGBTIQ-Engagement im Vorfeld der Zurich Pride 2019. Zum Schluss sagte die Journalistin, sie habe erfahren, dass ich auch in einer Regenbogenbeziehung lebe. Da konnte und wollte ich mich nicht zurückhalten. Ein Slogan von uns lautet «Mut heisst anders zu sein» und ich entschied, dass auch ich jetzt Mut zeigen muss. Schliesslich habe ich mit der Journalistin offen über meine Homosexualität und die Familie gesprochen. Das Echo war zum allergrössten Teil positiv, doch es gab beispielsweise auch Kund*innen, die sich aufgrund der Berichterstattung zu meinem Coming-Out leider von uns getrennt haben.

In deinem familiären Umfeld hattest du dein Coming-Out mit 36 Jahren. Warum hast du so lange gewartet, auch öffentlich zu deiner sexuellen Orientierung und deiner Liebe zu stehen? 
Dass ein öffentliches Coming-Out heute noch ein grosses Thema ist, zeigt deutlich, dass wir noch nicht bei Gleichheit sind. Es war für mich ein langer und nicht einfacher Weg. Vom eigenen Eingestehen, schwul zu sein bis zu diesem öffentlichen Coming-Out. 
Meine eigene Familie – die beiden Kinder und die Ex-Frau sowie mein Lebenspartner – ist der zentrale Punkt in meinem Leben. Diesem Umstand habe ich bei all meinen Schritten immer bewusst im Auge gehabt. Ich hatte grossen Respekt vor den Reaktionen, die ich mit meinem Coming-Out auslösen werde. Bei meiner Familie, Eltern, Geschwistern, Freund*innen, Bekannten sowie Geschäftskolleg*innen und der Öffentlichkeit. Glücklicherweise ist bei mir alles gut gegangen, auch wenn es natürlich innerhalb der Familie Zeit brauchte.

 

Hans-Peter Nehmer

Hans-Peter Nehmer, Kommunikationschef bei der Allianz Suisse

 

Musstest du in der Vergangenheit privat oder beruflich Hass erleben, weil du schwul bist? 
Hass musste ich bis jetzt zum Glück nicht erleben. Ich kenne jedoch einige Menschen, die unter Hass und Diskriminierung leiden mussten. Oder Menschen, die ihre Sexualität bewusst verbergen, um davon verschont zu bleiben. Das finde ich traurig und darf nicht sein. Hingegen erlebte und erlebe ich nach wie vor Situationen und Gespräche, in denen ich auch aufgrund meines öffentlichen Coming-Outs nur auf meine Sexualität reduziert werde. Das stört mich persönlich sehr.

Was liebst du an der queeren Community am meisten?
Mein Mann und ich haben einen tollen Freundeskreis, darunter auch einige Personen aus der LGBTIQ-Community. Wir haben die gemeinsame Zeit immer mehr zu schätzen gelernt und den offenen, unkomplizierten und liebevollen Umgang liebe ich sehr.

Gibt es vielleicht auch etwas, dass dich manchmal stört?
Mich stört Ausgrenzung jeglicher Art. Als 50+ jähriger Mann weiss ich, dass das Alter in der Community teilweise auch zu Ausgrenzung führt. 

Du bist im neu gegründeten Wirtschaftsbeirat von Pink Cross und als Jurymitglied der Swiss Diversity Awards aktiv. Was ist deine Leitvision für dieses intensive Engagement?
Ich persönlich und auch unser Unternehmen glauben ganz fest daran, dass die Vielfalt der Mitarbeitenden eine wichtige Rolle für den Unternehmenserfolg spielt. Wir möchten das Zugehörigkeitsgefühl fördern und Raum für unterschiedliche Denkansätze und Perspektiven bieten. Jede Person soll so sein können, wie sie ist.
Bei meinem Engagement im Wirtschaftsbeirat von Pink Cross will ich als Brückenbauer zwischen Wirtschaftsunternehmen, Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen fungieren. Unternehmen sollen ermutigt werden, Haltung für LGBTIQ-Arbeitnehmende zu zeigen und damit einen positiven und inklusiven Alltag zu schaffen. Der Kern dabei ist, eine Verhaltensänderung zu erzielen. Mit dem Swiss Diversity Forum, welches wir in diesem Jahr erstmals vor der Award Verleihung durchführen, wollen wir dem Bedürfnis für diesen Austausch Rechnung tragen.

Als Kommunikationschef bei der Allianz Suisse setzt du dich innerhalb des Unternehmens für ein diskriminierungsfreies und LGBTIQ-inklusives Arbeitsumfeld ein. Welche konkreten Massnahmen werden für dieses Ziel bei der Allianz ergriffen
Wir haben ein Diversity Board, welches die Diversity Strategie definiert – LGBTIQ-Themen sind dabei ein fester Agendapunkt. Unser aktives Pride-Netzwerk organisiert beispielsweise zum Coming-Out-Day oder IDAHOBIT kleine Aktionen und veröffentlicht Artikel zu den Themen. Die Allianz ist jeweils auch an der Zurich Pride vertreten, um Sichtbarkeit zu schaffen. Die Grundlage für unser Engagement bildet unser «Code of Conduct» und unsere Guidelines mit «zero tolerance discrimination». Wenn ein*e Mitarbeiter*in diskriminiert wird, kann der Vorfall der vorgesetzten Person oder auch anonym gemeldet werden. Jeder Fall wird untersucht und wenn ein Fehlverhalten festgestellt wird, werden Massnahmen ergriffen, die im Extremfall bis zum Ausscheiden aus unserem Unternehmen führen können.

Unterstützt die Allianz Suisse auch zivilgesellschaftliche LGBTIQ-Projekte?
Wir unterstützen das Diversity Forum und den Diversity Award als Gastgeberin finanziell und inhaltlich. Wir haben ausserdem einen Fonds, mit dem wir teilweise auch LGBTIQ-Projekte mit Bezug zu unserem Unternehmen (zum Beispiel durch Mitarbeitende) unterstützen. Ausserdem beziehen wir auch Stellung zur Ehe für alle, doch dazu später mehr.

Das interne Netzwerk Allianz Pride ist an den Pride-Paraden präsent und hat zuletzt 2019 mit einer Hochzeitskapelle und symbolischen Hochzeiten auch sehr medienwirksam ein Zeichen für gleichgeschlechtliches Lieben und Diversität gesetzt. Werden wir euch in diesem Jahr wieder an den Prides antreffen?
Jawohl, wir sind auch in diesem Jahr mit Mitarbeitenden vertreten! Im Vorfeld hat das Netzwerk einen Allianz Pride Month initiiert. Rund 70 Kolleg*innen sind gerannt, geschwommen, gewandert, haben Yoga gemacht oder sind Velo gefahren. Das Resultat: 62'000 min., bzw. 1030 Stunden oder 42 Tage Bewegung. Jede Minute haben wir mit 5 Rappen belohnt und den Betrag zum Schluss noch aufgerundet. Den Betrag haben wir dem Komitee «Ehe für alle» zukommen lassen.

 

Die symbolische Hochzeitskapelle der Alianz Suisse an der Zurich Pride 2019

Die symbolische Hochzeitskapelle der Alianz Suisse an der Zurich Pride 2019

 

Die Allianz Suisse ist Teil der internationalen Allianz Gruppe. Diese ist weltweit in vielen Ländern vertreten, so zum Beispiel auch als Allianz Eurasia in Russland – wo ja bekanntlich die Rechte von LGBTIQ-Personen nicht gewährleistet sind. Wo setzt der “Global Diversity Council” eurer Unternehmensgruppe an, um sich international für die Rechte von LGBTIQ-Menschen einzusetzen?
Die Diversity & Inclusion Guidelines mit der «zero discrimination policy» gelten verbindlich und konsequent für die ganze Unternehmensgruppe. Das Pride-Netzwerk setzt sich weltweit für die Rechte der LGBTIQ-Community ein. Ich kann aber keine Auskunft darüber geben, ob es in den betroffenen Ländern zu LGBTIQ-feindlichen Vorfällen gekommen ist.

Welche Aspekte und Rahmenbedingungen sollten für dich Arbeitgebende im mindesten erfüllen, um sich gegenüber den Arbeitnehmenden als LGBTIQ-inklusiv zu positionieren?
Wichtig ist eine gelebte Unternehmenskultur, die es allen Mitarbeitenden ermöglicht, ihre persönlichen Freiheiten und Potenziale frei zu entfalten, ohne durch Rollenerwartungen oder Stigmatisierungen eingeschränkt zu werden. Wir bei der Allianz verpflichten uns zu einer durch Chancengleichheit geprägten Zusammenarbeit. Nur wenn unsere Mitarbeitenden sich trauen, anders zu sein, können wir es als Allianz Suisse auch sein.

Und weiter: Wo endet für dich die Verantwortung, zum Beispiel wenn es darum geht, ob auch Zulieferer den “Code of Conduct” erfüllen?
Es ist uns wichtig, dass unsere Geschäftspartner*innen unsere Werte teilen und die gleich hohen Massstäbe an ihre Arbeit anlegen, wie wir an unsere. Speziell im Zusammenhang mit dem Aufbau neuer oder der Pflege bestehender Geschäftsbeziehungen mit Zulieferern wird eine eingehende Sorgfaltsprüfung unsererseits hoch priorisiert. Unsere Geschäftspartner*innen sind dazu verpflichtet, unseren «Code of Conduct» zu befolgen was auch vertraglich bindend festgehalten wird. Ein Bestandteil des «Code of Conduct» ist, dass niemand aufgrund der Lebensform diskriminiert werden darf. 

Der Pride-Monat liegt wenige Wochen zurück und mittlerweile haben sich die regenbogenfarbigen Logos der allermeisten Unternehmen wieder ins altbekannte Dasein verwandelt (so auch bei der Allianz Suisse). In diesem Jahr war das sogenannte “Rainbow Washing” in unserer Community wieder sehr präsent. Für Konsument*innen ist es schwierig zu erkennen, welche Unternehmen es mit der Unterstützung unserer Community wirklich ernst meinen und welche nicht. Hast du eine Idee, wie dies transparenter gemacht werden könnte?
Ich würde darauf achten, dass sich Unternehmen eben nicht nur zum Pride Month exponieren, sondern auch sonst immer wieder zu diesen Themen präsent sind. Die Grundsatzfragen, die sich Unternehmen dabei stellen sollten: Wirkt das Engagement glaubwürdig? Ist es nachhaltig oder nur einmalig?
Verbindliche und glaubhafte Zertifizierungen wie das «Swiss LGBTI-Label» helfen den Konsument*innen dabei, den Überblick zu behalten. Ich bin besonders stolz, dass wir als erste Versicherung das «Swiss LGBTI-Label» erhalten haben. Wir werden nun regelmässig in den Bereichen Diversity & Inclusion geprüft und müssen unsere Bemühungen und Erfolge kennzeichnen, damit wir weiterhin das «Swiss LGBTI-Label» tragen dürfen.

Am 26. September stimmt die Schweiz über die Ehe für alle ab. Unternehmen wie der Versicherungskonzern Zurich oder Roche haben bekannt gegeben, sich aktiv für ein JA an der Urne einzusetzen. Wird sich auch die Allianz aktiv um ein JA bemühen? 
Wir unterstützen voller Überzeugung die Ehe für alle, weil es uns wirklich wichtig ist. Wir sind auch Teil einer Aktion von verschiedenen Unternehmen in der Schweiz, die sich öffentlich für die Ehe für alle aussprechen. Es ist für uns das erste Mal, dass wir uns so klar öffentlich zu einem politischen Thema positionieren, dass nichts mit unserem Versicherungsgeschäft zu tun hat. 

Zum Schluss nochmals etwas Persönliches: Du lebst seit vielen Jahren in einer eingetragenen Partnerschaft mit deinem Mann. Habt ihr euch schon Gedanken darüber gemacht, ob bei euch bald die Hochzeitsglocken läuten könnten?
Die Möglichkeit, unsere Partnerschaft offiziell eintragen zu können, hat mir persönlich sehr geholfen. Es war mir wichtig, unsere Beziehung auf diesem Weg manifestieren zu können. Zu sagen: Ich möchte den Rest meines Lebens mit dieser Person verbringen. Wir haben uns schon Gedanken über das Heiraten gemacht, doch das möchten wir gerne noch für uns behalten.

Möchtest du bei unseren Pink Mail Leser*innen noch etwas loswerden?
Ich möchte alle ermutigen, sich argumentativ fit zu machen, für die letzte Meile im Abstimmungskampf zur «Ehe für alle». Wenn ihr klar und einfach formulieren könnt, um was es am 26. September geht, habt ihr gute Chancen, beim Gegenüber zu punkten. Die Zusammenfassung der Argumente findet ihr unter ehefueralle.ch.

Interview: Manolito Steffen, Community Manager Pink Cross