Interview mit Roger Seger

Roger Seger ist 55 Jahre alt und engagiert sich leidenschaftlich in der queeren Community. Er war politisch als Gemeinderat in Schlieren (ZH) aktiv. Momentan lässt er dies jedoch ruhen. Er erzählt uns über sich und sein Leben mit einer Behinderung...

Roger Seger ist 55 Jahre alt und engagiert sich leidenschaftlich in der queeren Community. Er war politisch als Gemeinderat in Schlieren (ZH) aktiv. Momentan lässt er dies jedoch ruhen. Er erzählt uns über sich und sein Leben mit einer Behinderung.

Wie steht es momentan um deine Gesundheit, wie geht es dir?

Mir geht es momentan gut, meine Krankheit zehrt jedoch ein bisschen an mir. Die bevorstehende Ope-ration macht mich ein bisschen nervös, aber das ist normal.

Du hast einen Partner, kannst du uns etwas von ihm erzählen?

Ja, ich habe einen Partner. Er ist im Hintergrund und allgemein nicht gerne im Rampenlicht. Wir sind seit 29 Jahren zusammen und leben in einer eingetragenen Partnerschaft. Er ist eine treue und liebevolle Seele. Es war sicherlich nicht immer einfach, vor allem mit meiner Krankheit, aber er hat mich immer unterstützt, mir geholfen und mich immer begleitet und das ist nicht selbstverständlich.

Bald steht die Abstimmung zur Ehe für alle an. Willst du eines Tages mit deinem Partner heiraten?

Ja, wir haben vor zu heiraten, mit der eingetragenen Partnerschaften sind wir nicht zufrieden. Es gibt viele Unstimmigkeiten. Die Ehe bietet uns rechtlich viel mehr Sicherheit als die eingetragene Partnerschaft, zum Beispiel sorgt das Erbrecht bei der Ehe gegenüber der eingetragenen Partnerschaft für eine bessere Absicherung.

Wo engagierest du dich derzeit in deiner Freizeit? Wie sieht deine Zukunft in der Politik aus?

In meiner Freizeit hat sich vieles verändert. Ich bin von Schlieren weggezogen und habe demnach meine politischen Mandate ruhen lassen. Ich engagiere mich gerne für queere Themen und mache zum Beispiel gerne bei Flyer-Verteilungen oder bei Standaktionen mit. Ansonsten gehe ich gerne mit meinem Hund spazieren und beschäftigte mich auch mit diversen anderen Themen.

Früher warst du in der SP Schlieren, was hat dich zum Austritt bewegt?

Der Umgang untereinander im Vorstand verlief nicht wie gewünscht und stimmte im Generellen für mich nicht mehr. Als die Mehrheit des Vorstandes mir in, für mich sehr wichtigen Positionen, nicht entgegenkommen wollte, war es Zeit für mich, ei- gene Wege zu gehen. Ich bin jedoch nicht ganz aus der SP ausgetreten und hatte nur Unstimmigkeiten mit dem Vorstand unserer Sektion und nicht mit der kantonalen oder nationalen Partei.

Wie spürst du deine Behinderung im queeren Umfeld? Merkst du Berührungsängste?

Ich habe keine angeborene Behinderung und kann mich daher vielleicht nicht so gut mit anderen Menschen die eine Behinderung haben vergleichen. Ich habe die Partnersuche und die aktive Zeit vor meiner Erkrankung gehabt. Für mich ist es normal, mit dem Rollstuhl unterwegs zu sein und ich bin vom Umgang anderer Menschen mit mir sehr positiv überrascht. An einer Pride wollte ich beispielsweise zur Bühne, um einen Auftritt zu geniessen und die Menschen haben ohne zu Fragen Platz gemacht und haben mir geholfen einen Platz zu finden. Dieselben haben mir dann wieder geholfen, um wieder aus der Menge herauszukommen. Vielfach höre ich, dass im queeren Umfeld eine ablehnende Stimmung herrscht. Ich selbst habe es eher anders wahrgenommen, vor allem ältere queere Menschen mit Behinderungen haben sich Privilegien genommen und versucht, sich selbst zu bevorteilen. Aufdringlich anderen Menschen auf den Hintern klopfen oder dumme Sprüche von sich geben. Dann muss man sich nicht wundern, wenn eine ablehnende Haltung gegenüber einem zurückkommt. Ich denke, es gibt nicht allzu viele queere Menschen mit Behinderungen, die auch in den Ausgang gehen und sich nicht verstecken aus Angst vor Ablehnung. Ich denke, man muss auch sichtbar sein und raus gehen und dann stösst man oft auf bessere Akzeptanz als man denkt. Für mich waren diese Probleme jedoch nie wirklich präsent, da ich meinen Partner vor meiner Behinderung gefunden habe und mich nie auf Partnersuche mit dem Rollstuhl machen musste.

In einem Artikel habe ich vernommen, dass du mit 19 Jahren homophobe Gewalt erleben musstest. Kannst du etwas über den Vorfall erzählen?

Es war keine schöne Sache, wir waren damals im Regenbogenhaus Luzern. Es war ein beliebter und bekannter Treffpunkt von queeren Personen und dies war offenbar auch gewissen Menschen bekannt. Wir sind nach draussen gegangen, ich war aufgrund von Problemen mit meinen Hüften mit Krücken unterwegs. Wir bemerkten eine Gruppe von 10-14 Menschen, die auf uns zukamen. Diese haben dann angefangen, auf uns einzuschlagen und uns zu treten. Dabei haben diese selbst vor mir mit Krücken keine Rücksicht genommen. Es kam dann zum Glück relativ schnell ein grosser und kräftiger Mann, ein richtiger Bär, aus dem Regenbogenhaus und hat einige von diesem Mob gepackt. Diese sind dann aufgrund von ihm schnell gegangen. Wir waren in diesem Moment sehr hilflos und haben nicht gewusst, wie wir uns helfen sollten ohne die Hilfe des Helfers in Note. Die Situation war für uns alle sehr unschön, wir hatten zum Glück keine schweren Verletzungen und sind mit blauen Flecken und Blessuren davongekommen.

Was sind die absoluten Don’ts im Umgang mit Menschen im Rollstuhl?

Was ich überhaupt nicht ausstehen kann ist, wenn Menschen einfach auf die Armlehne meines Rollstuhls sitzen. Diese können das Gewicht nicht aushalten und dies sollte man im Allgemeinen nicht machen. An Fussgängerstreifen kommt es vor, dass sich Menschen neben mich stellen und dann bei Grün ganz schnell versuchen, mich zu überholen, um vor mich zu kommen. Da ich jedoch mit dem elektrisch angetriebenen Rollstuhl um einiges schneller bin, führt dies meistens dazu, dass ich bremsen muss. Aber auch Personen, die sich nur auf ihr Handy konzentrieren oder Musik hören und nicht auf die Umgebung achten, übersehen mich und dann muss ich mit dem Rollstuhl ausweichen. Dies führt schlussendlich zu einem Spiessrutenlaufen, dies kann auf Zeit anstrengend sein.

Spürst du in einem LGBTIQ-Umfeld einen anderen Umgang als in einem Hetero-Umfeld?

Das ist eine schwierige Frage, ich spüre grundsätzlich keine Unterschiede. Was aber wahrscheinlich daher kommt, dass ich älter bin und nicht mehr aktiv im Ausgang bin. Wenn ich im Ausgang bin, sind die Menschen teilweise eher zurückhaltender. Manche aber nehmen recht schnell von sich aus Kontakt auf. Ich habe im Allgemeinen das Gefühl, dass Menschen, die mit mir sprechen wollen, sich lieber zurückhalten und mich nicht ansprechen aus Angst davor, Fehler zu machen oder Grenzen zu überschreiten. Ich jedenfalls freue mich über jeden Kontakt und jedes Gespräch. So erfahre ich, was die (jungen) Queers heute so bewegt und wie sich manches gegenüber früher verändert hat. Das finde ich spannend!

Was möchtest du den Leser*innen vom Pink Mail mitteilen?

Ich bin sehr positiv überrascht, was ich für einen schönen Umgang im queeren Umfeld erlebe und dass mir geholfen wird, wenn nötig. Es wird mir Hilfe angeboten, die jedoch auf keiner Weise aufdringlich ist. Ich bin auch oftmals erstaunt, wie direkt Fragen an mich sind, und zwar in jedem Bereich. Und das finde ich grossartig, denn genau so stimmt es für mich auch.

Interview: Sacha Wabel / Volunteer Pink Cross