Hate Crime: Noch viel Arbeit trotz ersten Schritten 

Levin hat auf der einen Seite ein blaues Auge, das andere ist dunkel unterlaufen. Auch sein Ohr ist blau und auf seinem Körper sieht man noch einige Schrammen. Ich treffe Levin im TeleZüri-Studio, weil wir heute gemeinsam im TalkTäglich auftreten dürfen. Oder besser gesagt: müssen. Levin wurde einige Tage vorher von einer Gruppe von fast 20 Männern spitalreif geprügelt. Nicht in einer dunk- len Ecke, sondern in einem Tram mitten in Zürich. Der Grund: Er ist queer...

Zum IDAHOBIT am 17. Mai 2021 hat Pink Cross den neusten Hate Crime Bericht veröffentlicht, in 18 Kantonen politische Vorstösse eingereicht und den Bundesrat mit einer Petition aufgefordert, endlich gegen LGBTIQ-Feindlichkeit aktiv zu werden. Und es gibt positive News.

Levin hat auf der einen Seite ein blaues Auge, das andere ist dunkel unterlaufen. Auch sein Ohr ist blau und auf seinem Körper sieht man noch einige Schrammen. Ich treffe Levin im TeleZüri-Studio, weil wir heute gemeinsam im TalkTäglich auftreten dürfen. Oder besser gesagt: müssen. Levin wurde einige Tage vorher von einer Gruppe von fast 20 Männern spitalreif geprügelt. Nicht in einer dunklen Ecke, sondern in einem Tram mitten in Zürich. Der Grund: Er ist queer.

Ich bewundere Levin für seinen Mut, hinzustehen und zu erzählen, was ihm passierte – im 20 Minuten, im Blick und im TeleZüri. Und ich bin froh, trägt er keine bleibenden physischen Schäden davon. Doch ich würde mir wünschen, dass niemand mehr mutig sein muss, weil er*sie ein Hassverbrechen erlebte. Doch der neuste Hate Crime Bericht zeigt, dass Hassverbrechen auf LGBTQ- Personen auch im Jahr 2020 alltäglich waren – trotz Corona-Einschränkungen.

Zu den Zahlen

Insgesamt wurden im Jahr 2020 61 Fälle gemeldet. Dies entspricht mehr als einer Meldung in der Woche. Diese Zahl liegt im Durchschnitt der letzten Jahre und ist insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Massnahmen erstaunlich. Denn die Erfassung der Hate Crimes zeigt, dass die meisten Vorfälle im öffentlichen Raum geschehen. Durch die Corona-Massnahmen waren in diesem Jahr die Begegnungen im öffentlichen Raum aber stark eingeschränkt. Dass die Zahlen trotz dieser Einschränkungen gleichgeblieben sind, deutet somit auf einen Anstieg der Vorfälle hin.

Mit Abstand die meisten Fälle wurden im Februar gemeldet. Diese Vorfälle waren mehrheitlich im Zusammenhang mit der Abstimmung zum Schutz vor Hass am 9. Februar 2020. Die Abstimmung hat der LGBTQ-Community Sichtbarkeit verliehen und sie somit zur Zielscheibe für LGBTQ-feindliche Gewalt gemacht.

«Es gab einige andere Personen bei unserer Tramstation. Niemand hat sich für uns stark gemacht.»

Ca. 63.9% der meldenden Personen waren männlich, 32.8% weiblich und eine Person non-binär. Wie schon in den Vorjahren waren ca. 14% trans. Bei der sexuellen Orientierung zeigt sich ein ähnliches Bild. 50% der Meldenden waren schwul und nur 14% waren lesbisch. Auch Meldungen von heterosexuellen Personen waren dabei. Diese Zahlen deuten unter anderem darauf hin, dass schwule Männer am häufigsten Hassverbrechen melden. Ob sie auch tat- sächlich häufiger als andere queere Personen Opfer solcher Taten werden, lässt sich aber nicht abschliessend sagen.

«Passiert eigentlich immer, wenn ich mich am Lochergut bewege.»

Wo fanden die Vorfälle statt?

Trotz Corona-Massnahmen passierten die meisten der gemeldeten Fälle im öffentlichen Raum (Strasse, Öffentlicher Verkehr, Haltestellen etc.). Die Taten im häuslichen Umfeld haben im Vergleich zum Vorjahr dagegen leicht abgenommen. Hier ist festzuhalten, dass die Hemmschwelle, Taten im häuslichen Bereich zu melden, deutlich höher ist.

Die überwiegende Zahl der Meldungen kam aus dem Kanton Zürich. Dies kann vor allem zwei Ursachen haben. Zum einen ist die LGBTQ-Community in Zürich sichtbarer als in ländlicheren Kantonen und zum anderen ist die LGBT+ Helpline bekannter und die Community sensibilisierter auf Hate Crimes. Es ist nicht davon auszugehen, dass die LGBTQ-Feindlichkeit in anderen Kantonen tiefer ist, sie ist wohl vielfach einfach weniger offensichtlich.

 

 

Wie sahen die Vorfälle aus?

85% aller Vorfälle waren Beschimpfungen und Beleidigungen. Die physische Gewalt hat im Vergleich zu den Vorjahren deutlich abgenommen. Waren es in den Vorjahren noch ca. 30% gewe- sen, waren es jetzt nur noch 18% der Meldenden, die physische Übergriffe meldeten. Auch dieser Rückgang kann unter anderem mit den Corona-Massnahmen erklärt werden, da Gewalttaten im Nachtleben, die in Vorjahren einen Grossteil der Meldungen ausgemacht hatten, wohl fast gänzlich ausgeblieben sind.

Was geschah nach den Vorfällen?

Von dieser relativ hohen Zahl an Meldungen wurden nur ca. 19.6% der Fälle bei der Polizei angezeigt. Diese niedrige Quote deutet darauf hin, dass auch polizeiliche Statistiken eine grosse Dunkelziffer aufweisen. Da polizeiliche Statistiken hauptsächlich die schwereren Fälle erfassen, sind sie dennoch unerlässlich, um ein zuverlässiges Bild der Gewalt an LGBTQ-Menschen zu
bekommen. In Ergänzung mit Erfassungen von privaten Organi- sationen, wie die vorliegende Erhebung der LGBTQ-Organisationen, ist es möglich, das Ausmass der Gewalt gegen LGBTQ-Menschen einzuschätzen.

«Ich wusste nicht, ob es überhaupt Sinn macht, einen solchen <Bagatell> -Vorfall zu melden.»

In über der Hälfte der gemeldeten Fälle gaben die Personen an, psychische Folgen davon getragen zu haben. Damit wird
ersichtlich, dass konkrete Angebote für die psychische Gesundheit von LGBTQ-Menschen weiterhin notwendig sind.

 

 

Erste positive Entwicklungen

Die Zahlen zeigen: Hate Crimes bleiben weiterhin ein grosses Problem. Seit Jahren fordern wir von der Politik deshalb Massnahmen. Wie die neusten Entwicklungen zeigen, trägt unser Engagement langsam Früchte:

  • Im Kanton Fribourg und der Stadt Zürich werden seit anfangs Jahr LGBTQ-feindliche Hate Crimes von der Polizei statistisch separat erfasst. In Zürich wurden innerhalb der ersten vier Monate bereits über ein Dutzend Hate Crimes gezählt – eine erschreckend hohe Zahl.
  • In den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Bern, Genf, Tessin und Waadt wurden die politischen Vorstösse zur statistischen Erfassung vom Parlament angenommen. Die Erfassung ist nun in Vorbereitung.

  • In den Städten Zürich und Genf wurden Kampagnen gegen Homo- und Transphobie gestartet. So soll die Bevölkerung sensibilisiert werden, hinzuschauen und einzugreifen.

  • Die Städte Biel, Lausanne, Genf und Bern haben Aktionspläne für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen und gegen LGBTIQ-Feindlichkeit erarbeitet. So werden bspw. spezifische Beratungsangebote für Opfer von Hate Crimes geschaffen,
    Aktionsmonate zu Vielfalt durchgeführt und das städtische Personal im Umgang mit LGBTIQ-Personen geschult.

Bund und Kantone sind in der Pflicht

Doch diese positiven Entwicklungen reichen nicht aus. Vorstandsmitglied und Nationalrat Angelo Barrile hatte letzten Sommer ein Postulat für einen nationalen Aktionsplan gegen LGBTQ-feindliche Hate Crimes eingereicht, womit auch die erweiterte Anti-Diskriminierungsstrafnorm (Art. 261bis StGB) umfassend umgesetzt werden soll. Doch der Bundesrat lehnte dieses ab, da zuerst «die Zuständigkeiten mit den Kantonen geklärt werden müssten».

Pink Cross und die LOS haben deshalb zum IDAHOBIT 2021 in Zusammenarbeit mit Parlamentarier*innen 18 kantonale Vorstösse einreichen lassen. Sie sollen die Regierungen auffordern, die Zuständigkeiten zur Umsetzung der Strafnorm zu klären und mögliche Massnahmen zu prüfen und umzusetzen. Wir sind gespannt auf die Antworten aus den Kantonen.

Gleichzeitig haben wir am IDAHOBIT eine Petition mit 3’500 Unterschriften eingereicht und den Bundesrat aufgefordert, endlich präventive Massnahmen zur Verhinderung von LGBTIQ-feindlicher Gewalt zu ergreifen – und diese gemeinsam mit den LGBTIQ-Organisationen zu erarbeiten.

Die positiven Beispiele zeigen, dass die vielen mutigen Menschen, die in den letzten Jahren ihre Erlebnisse öffentlich machten, etwas bewirkt haben. Sie zeigen uns, dass sich unsere Sensibilisierungsarbeit lohnt. Doch wir sind noch längst nicht am Ziel. Bund und Kantone müssen nun handeln und wir bleiben dran!

Text: Dominik Steinacher, Vorstand Pink Cross und Roman Heggli, Geschäftsleiter Pink Cross