Queer und Scham
Mein stolzes Ich freut sich daran, dass ich transitioniert habe, dass es beruflich und privat gut läuft und dass ich als Mann überall anerkannt werde. Doch irgendwo in mir drin wohnt auch noch das kleine schamhafte Ich, das immer wieder Situatio- nen spürt, in denen es sich weniger wert fühlt, in denen die Unsicherheit über die eigene Männlichkeit aufscheint, in denen das Trans-Sein ein Problem ist...
Henry Hohmann ist Transaktivist und setzt sich seit über 10 Jahren für die Rechte von trans Menschen ein. Von 2010 bis 2018 war er Präsident bzw. Co-Präsident von Transgender Network Switzerland.
Mein stolzes Ich freut sich daran, dass ich transitioniert habe, dass es beruflich und privat gut läuft und dass ich als Mann überall anerkannt werde. Doch irgendwo in mir drin wohnt auch noch das kleine schamhafte Ich, das immer wieder Situationen spürt, in denen es sich weniger wert fühlt, in denen die Unsicherheit über die eigene Männlichkeit aufscheint, in denen das Trans-Sein ein Problem ist. Ja, manchmal verspüre ich Scham, trans und queer zu sein, in Situationen, die für mich anders sind als für cis und hetero Menschen.
Verspürst du nicht auch manchmal ein Unbehagen, am Montag bei der Arbeit vom Wochenende zu erzählen, ist es besser, die Hand der Partner*in manchmal loszulassen, kennst du es, von Leuten in deiner Identität oder Orientierung nicht akzeptiert zu werden und warum musst du dich immer und immer wieder outen? Viele fühlen sich in solchen Situationen getroffen, sind gelähmt, bleiben stumm und wehren sich nicht.
Wie viel Scham steckt in queeren Menschen? Scham lernen wir in unserem jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Kontext und wir lernen, uns damit einer Norm zu unterwerfen. Wer der Norm nicht entspricht, wird ausgegrenzt, gilt als «schamlos». Und viele von uns werden beschämt – sei es mit Schimpfworten (Transe!, Schwuchtel!), sei es durch gesellschaftliche Ausgrenzung oder ein Nicht-Ernst-Nehmen (Du wirst sowieso nie ein
«richtiger» Mann). Scham ist es, die uns das Anderssein immer wieder, oft schmerzhaft, spüren lässt.
Die Entwürdigung queerer Menschen, sie ist immer noch da. Und schlimmer noch, sie ist häufig genug auch in uns drin. Das Gefühl der Scham, nicht dazuzugehören, nicht der Norm zu
entsprechen – und sich dafür schuldig und weniger wert zu fühlen, sich gar selbst zu hassen. Diese innere Scham ist wie ein Stachel, den wir endlich herausziehen müssen. Empowern wir uns, wehren wir uns, stützen wir uns als Community gegenseitig! Damit irgendwann die Scham keine Chance mehr hat.
Text: Henry Hohmann