Ein Appell für mehr queere Kunst und Glitzer in der Literatur

Donat Blum, 1986 in Schaffhausen geboren, ist Schriftsteller, Aktivist und Veranstalter. Er hat das Schweizerische Literaturinstitut absolviert und wurde zuletzt vom Literarischen Colloquium Berlin und der Stadt Zürich ausgezeichnet...

Donat Blum, 1986 in Schaffhausen geboren, ist Schriftsteller, Aktivist und Veranstalter. Er hat das Schweizerische Literaturinstitut absolviert und wurde zuletzt vom Literarischen Colloquium Berlin und der Stadt Zürich ausgezeichnet. Sein Debüt OPOE – die Geschichte von einer holländischen Grossmutter und ihrem schwulen Schweizer Enkel – ist 2018 bei Ullstein erschienen. Derzeit arbeitet er am abendfüllenden, queeren Dokumen- tarfilm «Die revolutionäre Kraft der Masturbation» und an seinem zweiten Roman «Was tun mit Hunden, wenn es regnet». Er ist Initiator, Gründer und Herausgeber von Glitter – die Gala der Literaturzeitschriften

Eigentlich sollte ich diesen Text hier nicht schreiben. Wie so oft, und insbesondere innerhalb der Community, werde ich dafür nicht entlohnt.

Für eine ähnlich lange Kolumne in einer Lokalzeitung könnte ich mindestens 400 Franken verrechnen. Circa ein Sechstel meiner monatlichen Einkünfte, mit denen ich meinen Lebensunterhalt, die Steuern, die Krankenkassenprämien und die Wohnungsmiete zahle.

Natürlich könnte ich mehr Lohnarbeit akquirieren. Nur würde mir dann die Zeit zum literarischen Schreiben ganz fehlen. Mein zweiter Roman käme nie zustande und der queere Aktivismus bliebe auf der Strecke. 

Aber wer erzählt dann noch die schwulen Geschichten aus der Schweiz? Wer arbeitet dann an neuen queeren Schweizer Narrativen? Wer, wenn nicht wir queeren Künstler*innen, Autor*innen und Journalist*innen, die in der Schweiz leben und wirken?

Der wichtigste Grund, warum wir 2016 GLITTER ins Leben gerufen haben, war die Förderung queerer Literatur und die Etablierung neuer queerer Narrative in der Gesellschaft. Etwas, was vor uns kläglich vernachlässigt wurde. Glitter ist die erste und noch immer einzige queere Literaturzeitschrift im deutschsprachigen Raum. Im Dezember ist die vierte Ausgabe erschienen.

Worauf ich hinaus will: Queere Künstler*innen sind mehrfach vom Prekariat betroffen. Einerseits als Künstler*innen, von denen ein vernichtend kleiner, einstelliger Prozentsatz von der eigenen Kunst leben kann. Andererseits als Queers, die durch die Maschen der Förderstrukturen und des Marktes fallen, weil der Mainstream-Betrieb noch immer denkt: «Queere Themen gehen nur Queers etwas an». Und drittens, weil die queeren Institutionen und die queere Community davon ausgeht, so ein bisschen Kunst, das kann Mensch auch nebenbei leisten. Als Lohn reiche der eigene Idealismus.

Meine Kollegin Ivona Brđanović, mit der ich Glitter ins Leben gerufen habe, und ich sind beides queere Autor*innen. Mit GLITTER haben wir uns 2016 «Queering Literature» mit auf die Fahne geschrieben. Was im englischsprachigen Raum schon eher eine Selbstverständlichkeit ist (danke, Netflix!), ist im deutschsprachigen Raum leider noch Zukunftsmusik. Queere Narrative gehören hierzulande nur am Rand zur (Pop-)Kultur. Oder anders ausgedrückt: Welchen schwulen Autoren* aus der Schweiz, Österreich oder Deutschland kennst du? Welche lesbischen Schweizer Autorinnen*? Welche queeren Autor*innen aus dem deutschsprachigen Raum kennen deine heterosexuellen Verwandten? Von welchen trans Autor*innen kennt ihr mehr als einen einzelnen Titel? Und die Frage, die alle, die von Zeit zu Zeit ein Buch zur Hand nehmen, sich stellen sollten: Welche queeren Autor*innen aus der Schweiz erzählen auf literarisch anspruchsvolle Weise queere Geschichten mit queeren Hauptfiguren? Solche, die dann sogar verfilmt werden? Und welche queren Autor*innen werden von der Schweizer Öffentlichkeit als reflektierte Mitbürger*innen zu gesellschaftspolitischen Themen befragt? Von welchen queeren Autor*innen lest ihr in der Zeitung, hört ihr im Radio, seht ihr Beiträge im Schweizer Fernsehen?

Es gibt queere Autor*innen. Auch in der Schweiz: Christoph Geiser, Martin Frank, Zora del Buono. Allerdings sind sie der Öffentlichkeit kaum bekannt. Autor*innen älterer Generationen haben oft resigniert, schreiben nur noch für sich im stillen Kämmerlein oder haben dem Druck nachgegeben und erzählen nun halt auch heteronormative Geschichten. Nachwuchs-Autor*innen scheitern meist an der Existenzsicherung. Sie können es sich erst gar nicht leisten – finanziell und emotional – eine Romanmanuskript fertigzuschreiben, um es Verlagen anzubieten oder bei Förderkommissionen einzureichen. Und kommen sie dann doch einmal so weit, ist es literarisch noch nicht ausgereift, die Verlagstüren bleiben aus Angst vor der Nische verschlossen oder Journalisten möchten lieber nicht vom erschienenen Buch berichten, weil sie fürchten zu Nischenberichterstattern degradiert zu werden. 

All das passiert nicht nur, weil die Mehrheitsgesellschaft auch im Literaturbetrieb kräftig diskriminiert, sondern ebenso weil wir queeren Autor*innen bisher nicht aufgestanden sind und mit Nachdruck Raum und Anerkennung eingefordert haben.

Mit GLITTER stehen wir dafür ein. Wir wollen unseren Autor*innen anständige Honorare bezahlen und kämpfen deshalb jedes Jahr um Fördergelder. Wir wollen professionelles Literaturschaffen ermöglichen, indem wir es ernst nehmen und diesen Ernst auch von der Mehrheitsgesellschaft einfordern – von Veranstalter*innen, Medien, Stiftungen und Förderstellen der öffentlichen Hand – weil wir wissen, dass es vor allem Zeit braucht, um gute und neuartige Literatur zu produzieren. Und weil wir wissen, ohne es deswegen gutzuheissen, Zeit bedeutet in einer kapitalistischen Gesellschaft Geld.

Pink Cross, TGNS und LOS haben die vierte Ausgabe von GLITTER via den Fonds Respect unterstützt. Mit 500 Franken. Damit kann gerade mal eines von 36 Autor*innenhonorare beglichen werden. Aufwände für Druck, Lektorat, Redaktion, Vertrieb und Werbung sind nicht gedeckt.

Rein rechnerisch gesehen, hätte ich also besser – statt diesen Text hier, den Antrag beim Fonds Respect und all die daraus resultierenden Emails mit den vier involvierten LGBT-Organisationen zu schreiben – eine Kolumne für eine Lokalzeitung verfasst und das so verdiente Geld in Glitter gesteckt. Aber es geht mir hier um mehr, liebe Community, und so greife ich ein Mal mehr für Lau in die Tasten: Es kann bezüglich queerer Kunst- und Kulturförderung so nicht weitergehen. 

Kunst und Literatur liefern eine Basis unseren Zusammenlebens. Sie schaffen Narrative, helfen im hier und jetzt bestehende Bilder, Denkstrukturen und Sprache zu reflektieren und neue zu schaffen. Wird beispielsweise ein queeres Buch im Tagesanzeiger besprochen, erreicht eine queere Geschichte potentiell rund 300‘000 Personen. Und Kunst und Kultur wirken auch noch Jahrzehnte danach: Wer in zwanzig Jahren herausfinden will, wie Queers 2020 gelebt haben, wird bei der Recherche auf literarische, filmische und journalistische Dokumente zurückgreifen. Ohne Zeitschrift „Der Kreis“ hätte es 50 Jahre danach keinen Film „Der Kreis“ geben können. Aber was, wenn diese Dokumente erst gar nicht entstehen? Oder weiterhin weder archiviert noch neu aufgelegt werden – wie beispielsweise der erste und bisher einzige schwulen Bestseller der Schweiz ter fögi isch e souhung – der dem gleichnamigen Film als Vorlage diente?

Professionelle Kunst und Kultur sollte uns als queere Community mehr wert sein als ein Abendbrot. Laienkunst braucht ihren Platz. Aber professionelle muss es eben so haben! Damit sie entstehen kann, brauchen queere Künstler*innen Zeit. Und Zeit ist Geld. Als Community müssen wir daher durch eine gezielte Förderung zeigen, dass queere Kunst wertvolle Arbeit ist. Erst dann können wir es auch von der Mehrheitsgesellschaft einfordern. Ein Appell, den ich an der nächsten Mitgliederversammlung von Pink Cross wiederholen möchte: Queere Community greift euren Künstler*innen – grosszügig! – unter die Arme und fördert proaktiv mit mehr Geld das queere Kunstschaffen, damit wir als Community, unsere Anliegen und unsere Bedeutung nachhaltig in der Gesellschaft verankern können. 

Das heisst auch: Kauft Glitter, liebe Leser_innen. Und leistet so einen Beitrag zur Wertschätzung queerer Litertaur und tragt dazu bei, dass sich das Wort verbreitet: We are Queers and we are here!

„Glitter – die Gala der Literaturzeitschriften“ ist die erste und einzige queere Literaturzeitschrift im deutschsprachigen Raum. Zur vierten Ausgabe, die diese Tage erscheint, haben 34 ausgezeichnete Autor*innen Kurzgeschichten, Gedichte und Essays beigesteuert. 
Weitere Infos: www.glitter-online.org / insta: glitter_magazin / FB: facebook.com/glitteratur
Bestellungen: www.queerbooks.ch (CHF 10.- exkl. Porto)

 

Mit dem FONDS RESPECT haben Pink Cross, die LOS und TGNS im Jahr 2020 über 25 queere Kunst- und Kulturprojekte unterstützt. Zusätzlich konnten im Rahmen des „Corona-Notfonds“ dank der Unterstützung der Stiftung Mercator insgesamt 10 queere Magazine, Organisationen und Kunstschaffende, denen aufgrund von Corona finanzielle Mittel fehlten, mit total CHF 45‘000 unterstützt werden. Der FONDS RESPECT hat auch das Weihnachtsmusical „COMMUNITY“ (www.community-musical.ch) ermöglicht und durfte so über 30 queere Kunst- und Kulturschaffende indirekt finanziell unterstützen. Damit wir weiterhin queere Kultur ermöglichen können, sind wir auf deine Spende angewiesen: www.fonds-respect.ch. Sämtliche Spenden kommen uneingeschränkt den Projekten zugute. Herzlichen Dank für deine Unterstützung!