Neuer Bericht zeigt: Mehr trans Personen melden Angriffe auf sie

Zum heutigen IDAHOBIT, dem Internationalen Tag gegen LGBTI-Feindlichkeit, veröffentlichen die Lesbenorganisation Schweiz (LOS), Transgender Network Switzerland (TGNS), Pink Cross und die LGBTIQ-Helpline den neusten Hate Crime Bericht.

Medienmitteilung vom 17. Mai 2023

Im Jahr 2022 wurden der LGBTIQ-Helpline 134 LGBTQ-feindliche Angriffe und Diskriminierungen gemeldet. Das sind fast drei Meldungen pro Woche und damit so viele wie noch nie – dies bei einer hohen Dunkelziffer. Die Zahlen zeigen deutlich, dass besonders trans Personen vermehrt Hate Crimes melden. So stammt fast ein Drittel der Meldungen von trans Personen und davon die meisten von nicht binären Personen. Diese Entwicklung ist auch auf die zunehmenden Feindseligkeiten von Politik und Medien besonders gegenüber nicht binären Personen zurückzuführen. Die LGBTQ-Dachverbände fordern Politik und Zivilgesellschaft dringend zum Handeln auf. 

Jedes Jahr am 17. Mai, dem IDAHOBIT (International Day against Homo-, Bi-, Inter- and Transphobia), veröffentlichen die LGBTQ-Dachverbände Transgender Network Switzerland (TGNS), Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und Pink Cross den Bericht zu LGBTQ-feindlichen Hate Crimes in der Schweiz. Dieser basiert auf Meldungen bei der LGBTIQ-Helpline, der Meldestelle für Hate Crimes und Peer-Beratungsstelle für LGBTIQ-Personen. 

Seit einigen Jahren ist bekannt, dass LGBTQ-feindliche Hate Crimes in der Schweiz alltäglich sind. Nun hat sich die sichtbare Situation nochmals deutlich verschärft: Besonders Angriffe gegen trans Personen werden immer häufiger gemeldet. Da bei Angriffen gegen trans Personen von einer besonders hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss, lässt sich daraus allerdings nicht mit Sicherheit ableiten, ob auch tatsächlich mehr Hate Crimes verübt wurden. Alecs Recher, Leitung Rechtsberatung und Advocacy von TGNS, erläutert: “In den letzten Monaten werden die Existenzberechtigung und die elementarsten Rechte von trans Personen, und ganz besonders von nicht binären Personen und von Jugendlichen, zunehmend öffentlich in Frage gestellt. Dass sich auch der Bundesrat und Medien aktiv daran beteiligen, diesen Nährboden für Gewalt und Diskriminierung zu bereiten, ist absolut inakzeptabel. Denn diese feindliche Grundstimmung wirkt sich fatal auf die Sicherheit und die psychische Gesundheit von trans Menschen aus, wie die Zahlen leider deutlich zeigen. Vor allem im öffentlichen Raum erleben trans Menschen besonders viel Feindlichkeit. Es ist dringend, dass der Staat mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeitet und uns unterstützt, um der tagtäglichen Transfeindlichkeit entgegenzuwirken!”

Die LGBTQ-Dachverbände sind besorgt über die aktuellen Entwicklungen. Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross, sagt: “Ein Angriff auf trans Personen ist immer auch ein Angriff auf die ganze LGBTQ-Community! Ich erhoffe mir von der Gesellschaft, dass sie die Rechte von trans Menschen ebenso unterstützen, wie sie die Ehe für alle unterstützt hat. Nur gemeinsam können wir eine Gesellschaft schaffen, die frei ist von rückständigen Geschlechterrollen. So können alle Menschen freier leben.”

Doch um dies zu erreichen, sind Bund und Kantone gefordert, nicht nur Massnahmen zu versprechen, sondern auch zu handeln: “Vor knapp einem Jahr wurde das Postulat für einen nationalen Aktionsplan gegen LGBTQ-Feindlichkeit angenommen. Der erste Austausch mit dem Eidgenössischen Büro für Gleichstellung (EBG) zur Umsetzung dieses Postulats fand bereits statt – wir hoffen, diese Zusammenarbeit in Zukunft noch auszubauen”, gibt sich Salome Trafelet von der Geschäftsstelle der LOS zuversichtlich.

Download Hate Crime Bericht 2023

Medienmitteilung vom 17. Mai 2023

 

 

Hate Crime Bericht: Das Wichtigste in Kürze

Seit 2016 können LGBTQ-feindliche Hate Crimes, Gewalt und Diskriminierung bei der «LGBTIQ-Helpline» (bisher: LGBT+ Helpline) gemeldet werden. Diese Meldestelle verfolgt das Ziel, die Situation in der Schweiz sicht- und messbar zu machen – denn schweizweite offizielle Erhebungen fehlen noch immer. 

Der vorliegende Hate Crime Bericht stützt sich auf die Vorfälle, welche zwischen Januar und Dezember 2022 der LGBTIQ-Helpline gemeldet wurden. Dabei ist zu beachten, dass der Fragebogen und das Meldetool im August 2022 aktualisiert, vereinfacht und verstärkt beworben wurden, wodurch sich gewisse Differenzen zu den letztjährigen Berichten erklären lassen. 

Die Auswertung zeigt ein erschreckendes Bild:

  • Die Anzahl an gemeldeten Vorfällen steigt um fast 50% auf einen neuen Höchststand von 134 Hate Crimes. Im Schnitt wurden fast drei Hate Crimes pro Woche gemeldet. Das entspricht mehr als doppelt so vielen gemeldeten Vorfällen im Vergleich zum Jahr 2020 (61 Meldungen), im Jahr 2021 wurden 92 Meldungen gemacht.
     

  • In etwa 80% der Fälle wurden erlebte oder beobachtete Beschimpfungen oder Beleidigungen gemeldet. Fast 20% der Meldenden erlitten körperliche Gewalt, was 25 Fällen entspricht. 10 Personen trugen dabei Verletzungen davon. 
     

  • Mit knapp einem Drittel der Fälle sind und bleiben trans Personen übermässig stark betroffen. Besonders der Anteil an nicht binären Personen, die Meldung erstatteten, hat nochmals zugenommen (von 14% auf 24%). Diese Zunahme ist besonders besorgniserregend vor dem Hintergrund einer explizit nicht binär-feindlichen Aussage von alt Bundesrat Ueli Maurer sowie dem Bericht des Bundesrates, in dem er die rechtliche Anerkennung nicht binärer Menschen ablehnt.
     

  • Nur 11% der Hate Crimes wurden bei der Polizei angezeigt. Wer Anzeige erstattete, erlebte nur teilweise  eine sachliche Reaktion der Polizei – ein Drittel der Meldenden berichtete von Herablassung und Spott.
     

  • Die meisten Hate Crimes wurden im öffentlichen Raum (34%) oder im öffentlichen Verkehr und an Haltestellen (20%) verübt. 
     

  • Junge Menschen sind besonders betroffen – rund zwei Drittel der Meldenden sind unter 30 Jahre alt
     

  • Hate Crimes belasten die Betroffenen langfristig. So geben zwei Drittel der Meldenden an, psychische Folgen vom Vorfall davongetragen zu haben. Manche LGBTIQ-Menschen versuchen in der Folge, ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu verringern, was aber insbesondere nicht allen trans Personen möglich ist.
     

  • Im Kanton Zürich wurden mit 44 Vorfällen die meisten Fälle gemeldet, darauffolgend mit 18 Fällen der Kanton Bern, mit 13 Fällen der Kanton St. Gallen und mit 11 Fällen der Kanton Aargau. Eine höhere Sichtbarkeit und Präsenz von LGBTQ-Personen in Zürich kann die höheren Zahlen aus Zürich erklären.

Die tatsächliche Anzahl von Hate Crimes ist jedoch um ein Vielfaches höher als die Anzahl der Meldungen. Im zweiten Jahr in Folge zeigt sich, dass die Zahlen der LGBTIQ-Helpline teils massiv niedriger sind als die der regionalen staatlichen Erfassungen im Kanton Fribourg und in der Stadt Zürich. Daher muss schweizweit von einer enormen Dunkelziffer ausgegangen werden . 

Worten Taten folgen lassen

Seit Jahren steigt die Anzahl gemeldeter Fälle von Hate Crimes, was zeigt, dass LGBTQ-Feindlichkeit und Übergriffe trauriger Alltag sind. Dies wirkt sich nicht nur auf die direkt betroffenen Personen aus, sondern hat Auswirkungen auf die ganze queere Community. 

Der Bundesrat muss den nationalen Aktionsplan gegen LGBTQ-feindliche Hate Crimes, nach Annahme des Postulats von Nationalrat Angelo Barrile (SP Zürich, Vorstandsmitglied Pink Cross), nun schnellstmöglich ausarbeiten und die Zuständigkeiten mit den Kantonen und Gemeinden klären.

Gerade die erschreckend hohe Zahl an Meldungen von trans Personen – und insbesondere nicht binären Personen – zeigt die Dringlichkeit, Gewalt und Hass gegen trans Personen näher zu untersuchen und rasch wirksame Massnahmen zu ergreifen. Die Ablehnung der Anerkennung von nicht binären Personen seitens Bundesrat ist stossend und befeuert transfeindliche Aussagen und Positionen.

Massnahmen, um Hate Crimes zu vermindern und zu begegnen, sind klar und längst überfällig: Offizielle Statistiken zu LGBTQ-feindlichen Übergriffen, Präventionsmassnahmen, Tatpersonenarbeit, spezialisierte Schutzunterkünfte und umfassende Sensibilisierungsarbeit in der Gesellschaft sowie bei Strafverfolgungsbehörden und Opferhilfestellen. 

Aber auch die Zivilgesellschaft ist gefordert, Haltung zu zeigen und sich gegen Hass und Diskriminierung einzusetzten – insbesondere da über die Hälfte der gemeldeten Vorfälle in der Öffentlichkeit stattfaden.Die LGBTQ-Dachverbände appellieren deshalb, überall dort einzugreifen, wo Diskriminierung sichtbar wird und nach  Möglichkeit Zivilcourage zu zeigen und einzugreifen!