LGBT im Alter

Heutzutage leben viele homo-, bi-, trans- und intersexuelle Menschen ihre Sexualität offen. Doch auch Schwule und Lesben werden älter und brauchen ambulante oder stationäre Betreuung. Ist das Pflegepersonal auf die speziellen Bedürfnisse dieser Klientel vorbereitet? Die Berner Fachhochschule nahm im...

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Heutzutage leben viele homo-, bi-, trans- und intersexuelle Menschen ihre Sexualität offen. Doch auch Schwule und Lesben werden älter und brauchen ambulante oder stationäre Betreuung. Ist das Pflegepersonal auf die speziellen Bedürfnisse dieser Klientel vorbereitet? Die Berner Fachhochschule nahm im Auftrag von PINK CROSS die Pflege- und Betreuungsausbildungen unter die Lupe.

Im Jahr 2050 werden in der Schweiz rund drei Millionen Menschen 65 Jahre alt oder älter sein und der Anteil von homo- oder bisexuellen Menschen dürfte je nach Schätzung zwischen 90‘000 und 300‘000 Personen liegen. Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuelle (LGBTI) werden dadurch zu einer Personengruppe, die zukünftig in den Alters- und Pflegeheimen bemerkbar sein wird. So werden vermehrt Stimmen laut, dass LGBTI ihre Orientierung auch im Alter offen leben können sollten.  Somit stellt sich die Frage, wie gut in der Schweiz das Pflege- und Betreuungspersonal ausgebildet wird, um den spezifischen Bedürfnissen von LGBTI gerecht zu werden. Dieser Frage ging das Institut Alter der Berner Fachhochschule im Auftrag von PINK CROSS nach. In einer Online-Befragung gaben Ausbildungsstätten in den Bereichen Pflege und Betreuung an, inwiefern sie ihre Studierenden auf die Bedürfnisse ihrer LGBTI-Klienten vorbereiten. Denn noch heute fürchten sich ältere Schwule und Lesben vor Diskriminierung und das Thema Sexualität im Alter ist bei vielen Spitex-Diensten und Heimen tabuisiert, was Partnerschaften und soziale Kontakte von LGTBI-Menschen belastet.

LGBTI-Themen fehlen in den Lehrplänen weitgehend

Die Resultate sind vielleicht nicht überraschend, für manche LGBTI wohl aber eher ernüchternd: In der Grundausbildung hat das Thema LGBTI im Alter kaum Platz. Nur rund ein Drittel der Befragten geht davon aus, dass die Studierenden das nötige Rüstzeug erhalten, um in ihrem Berufsalltag auf die spezifischen Bedürfnisse von LGBTI eingehen zu können. Begründung für die fehlende Berücksichtigung von LGBTI im Alter: Das Thema sei zu nebensächlich. Die Lücken in den Lehrplänen werden insbesondere von den Westschweizern erkannt. Nur die Hälfte der befragten Romands gibt an, dass das Thema LGBTI im Alter im Lehrplan verankert ist, und 75% bemerken, dass mehr Wissen zum Thema „Identität, biographische Besonderheiten und Selbstakzeptanz“ nötig wäre – in der Deutschschweiz sind dies bloss 44%. Doch auch was die soziale Ungleichbehandlung, Altersbilder sowie Partnerschaft und soziale Beziehungen von LGBTI betrifft,  erkennt rund die Hälfte der Befragten Lücken in den Lehrinhalten. Der Röstigraben zieht sich somit auch durch die Pflegeausbildung im Bereich LGBTI im Alter. Es scheint, dass insbesondere in der Westschweiz Aufholbedarf besteht. Übernimmt die Deutschschweiz bei der Wissensvermittlung im Bereich LGBTI im Alter eine Vorreiterrolle oder haben die Ausbildungsstätten der Westschweiz selbstkritischer geantwortet? Dies lässt sich nicht ganz einfach abschätzen. Eins lässt sich jedoch sagen: Das Potential, dass dem Thema LGBTI in Zukunft zugesprochen wird, wird in der Deutschschweiz mehrheitlich grösser eingeschätzt als in der Westschweiz. Dort sieht rund die Hälfte der Befragten in dem Thema keinerlei Potential für den Unterricht.

Studierende zeigen Interesse

Anders sehen dies jedoch die Studierenden. Insbesondere in der Romandie tragen diese oft Fragen zur Lebenssituation von LGBTI- Menschen an ihre Dozierenden heran – meist auch im Bezug zum Thema HIV+/Aids. Während Dreiviertel der Lehrverantwortlichen in der Westschweiz von Anfragen, Rückmeldungen und Interessebekundungen der Studierenden berichten, tun dies in der Deutschschweiz „nur“ die Hälfte. Das Interesse der Studierenden scheint also geweckt – es bleibt abzuwarten, ob dieses auch auf die Studiengangverantwortlichen übergreift.

Text: Michèle Métrailler