Die Schweiz hat gewählt. Welche LGBT-Supporter_innen wurden abgewählt? Wer hat es ins Parlament geschafft? Und was bedeutet das für unsere Zukunft? Ein persönlicher Ausblick von Bastian Baumann, Geschäftsleiter von PINK CROSS.
So wurde gewählt
Das Damokles-Schwert über unseren Köpfen war ein Rechtsrutsch. Am 18. Oktober 2015 rutschte die Schweiz dann tatsächlich nach rechts. Aus dem LGBT-Partei-Ranking und den daraus möglichen Schlussfolgerungen lässt sich schliessen, wer gemäss offiziellen Partei-Parolen für uns kämpft: es sind SP, Grüne, GLP und BDP, die praktisch alle unsere Anliegen – zumindest offiziell – unterstützen. Die FDP hält neue Gesetze aufgrund ihrer liberalen Haltung häufig als nicht der richtige Weg und blockt deshalb leider bei vielen LGBT-Gesetzen, die CVP startet mit ihrer «Heiratsstrafen-Initiative» einen Frontalangriff auf die Gleichstellung von LGBT in der Schweiz und die SVP unterstützt keines (!) unserer Anliegen.
Letzten Sonntag gewonnen haben nun SVP und FDP. CVP, BDP, GLP und Grüne haben verloren. Die SP bleibt im Nationalrat stabil.
Das Resultat zeigt, praktisch alle – ausser die SP – unserer LGBT-Allies haben Prozentpunkte verloren. Damit schwindet automatisch auch die Zustimmung für politische Geschäfte, die LGBT stärken oder auch «nur» gleichstellen wollen.
Gewinnerin Nr. 1: SVP
Aus LGBT-Sicht man das Erstarken der SVP erstmals Angst. Die Partei schneidet im LGBT-Fraktionsranking denkbar schlecht ab. 55 Mitglieder der SVP-Fraktion haben bei fünf Abstimmungen zu LGBT kein einziges Mal für uns abgestimmt. Eine solch hohe (schlechte) Quote erreichte keine andere Partei. Mit Mörgeli («Wann verlangen die Linken auch das Adoptionsrecht für Haustiere?»), Fehr oder Bortoluzzi («Hirnlappen, der verkehrt läuft.») verlassen zumindest einige LGBT-Hetzer das Parlament. Gleichzeitig zieht auch eine neue Generation ins Bundeshaus ein, wie der schwule Hans-Ueli Vogt oder Roger Köppel («Es lassen sich aus liberaler Warte keine überzeugenden Argumente gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare finden.»). Es ist uns zu wünschen, dass liberale Kräfte in der SVP wie auch die SVP-eigene Homosexuellen-Subgruppe «GaySVP» zukünftig in LGBT-Fragen lauter werden und stärker Beachtung finden.
Gewinnerin Nr. 2: FDP
Mit Doris Fiala und dem schwulen Hans-Peter Portmann sind zwei starke und clevere LGBT-Verbündete in der FDP-Bundeshausfraktion aktiv. Der schwule Daniel Stolz wurde leider abgewählt. Die Fraktion ist aber deutlich LGBT-freundlicher als die SVP und viele ihrer Parlamentarier unterstützen unsere Anliegen. Wir werden die FDP überzeugen müssen, dass Minderheiten teilweise auch mit neuen Gesetzen geschützt werden müssen und dies mit dem liberalen Gedanken trotzdem gut vereinbar sein wird.
Haben es unsere Verbündeten geschafft?
Wie sieht es im Gesamtüberblick aus? Wir hatten vor der Wahl in unserer aktuellen Pink Mail diverse Menschen aufgeführt, die sich in der Vergangenheit für uns eingesetzt hat. Diese Liste sorgte für etliche Reaktionen – auch Austritte… Wer sich wie stark für LGBT-Menschen einsetzt, scheint auch unter LGBT durchaus für Diskussionsbedarf zu sorgen. Doch welch_e Verbündeten haben den Sprung ins Parlament denn nun geschafft?
Mit Aline Trede (Grüne), Andy Tschümperlin (SP), Roland Fischer (GLP) oder Daniel Stolz (FDP) verliert das Parlament sehr engagierte und wichtige LGBT-Supporter. Leider haben auch Barbara Lanthemann (Geschäftsleiterin LOS), Michel Rudin (Vorstandsmitglied PINK CROSS) oder der engagierte Zürcher Gemeinderat Alan David Sangines den Sprung ins Parlament nicht geschafft. Erfreulich ist die Wiederwahl von Kathrin Bertschy (Initiantin der «Ehe für alle»-Initiative), Mathias Reynard (Initiant -Anti-Diskrimierrungs»-Initiative), dem schwulen Ständerat Claude Janiak oder dem langjährigen und sehr engagierten schwulen Nationalrat Martin Naef.
In der neuen Zusammenstellung verfügt das neue Parlament (nach aktuellen Wissensstand) über vier schwule National- resp. Ständeräte (-1). Eine offen lesbische und Trans-Parlementarier_in ist mir bis heute nicht bekannt.
Die nächsten 4 Jahre
Der Wahlsieg von Mitte-Rechts ist kein Votum der Schweizer Bevölkerung gegen LGBT. Gewonnen haben Ängste und Verunsicherungen vor Flüchtlingswellen, Ausländern_innen oder der Wirtschaftszukunft. Denn alle Umfragen sprechen für eine offene Gesellschaft in Sachen Ehe für alle (70% Ja/Ehe Ja) oder das Anti-Diskriminierungsgesetz (84% Ja/Eher Ja) – auch ein konservatives Parlament wird diese Strömungen berücksichtigen müssen (siehe auch «So denkt die Schweiz»). Und ein Blick ins Ausland zeigt, dass auch konservative Parteien Pro-LGBT-Parolen fassen können, ohne ihre Basis zu verlieren. Anliegen wie die Adoption oder die sexuelle Orientierung als Fluchtgrund bei Asyl werden es in Zukunft im Parlament damit aber trotzdem nicht einfacher haben.
Es wird auch Aufgabe der SP, GLP und Grünen sein, Allianzen mit FDP und CVP in Sachen Menschen- und LGBT-Rechte zu forcieren. Und es wäre der SVP zu wünschen, dass sie sich den LGBT-Themen öffnet – denn wie das Wahlresultate vermuten lässt, gehören auch Schwule und Lesben zu Befürwortern der Volkspartei. Der neuen Ausgangslage von homosexuellen Wählern und Parlamentsvertreter_innen von wertkonservativen Parteien müssen auch wir in den nächsten vier Jahren Beachtung schenken.
Für unsere Arbeit bedeutet der Rechtsrutsch eine noch stärkere Fokussierung auf unsere bisherigen sozialen und liberalen Partner_innen im Parlament. Und den Fokus auf die freiheitsdenkenden und offenen Parlamentarier_innen von wertkonservativen Parteien. Es wird von grosser Bedeutung sein, alle Parteien von der Notwendigkeit einer totalen Gleichstellung für wirklich alle Menschen in der Schweiz zu überzeugen. Dafür werden wir kämpfen.
Gleichzeitig werden wir ein Monitoring-System einführen, um auch während der neuen Legislatur überprüfen zu können, wie LGBT-freundlich die neuen Parlamentarier_innen wirklich sind und publizieren, wie bei für uns wichtigen Abstimmungen abgestimmt wird. Wir werden also eine Art «Watchdog» für LGBT-Rechte in der Schweiz – das sind wir uns selber und unseren Mitgliedern schuldig.